Berechnung von Entgeltbestandteilen auf Grundlage des Mindestlohnes
Entgelte für Urlaubszeiten, Feiertage und Zuschläge für Nachtarbeit sind auf Grundlage des gesetzlichen Mindestlohns zu berechnen.
Die Arbeitgeberin zahlte der Arbeitnehmerin im Januar 2015 die gesetzliche Feiertags- und Urlaubsvergütung sowie einen tariflichen Nachtarbeitszuschlag, jedoch nicht auf Grundlage des gesetzlichen Mindestlohnes, sondern basierend auf der niedrigeren vertraglichen Stundenvergütung. Zudem rechnete sie ein gezahltes tarifliches „Urlaubsgeld“ auf Mindestlohnansprüche der Arbeitnehmerin an. Mit ihrer Klage verlangte die Arbeitnehmerin eine Berechnung dieser Ansprüche nach Maßgabe des gesetzlichen Mindestlohnes.
Das BAG entschied zugunsten der Klägerin. Da sowohl der tarifliche Nachtarbeitszuschlag als auch das Urlaubsentgelt Teil des „tatsächlichen Stundenverdienstes“ i.S.d. anwendbaren MTV seien, müssten diese Ansprüche auf Grundlage des (damals geltenden) gesetzlichen Mindestlohnes berechnet werden. Aufgrund des gesetzlichen Entgeltausfallprinzips gelte dies auch für die Feiertagsvergütung. Eine Anrechnung des „Urlaubsgeldes“ auf Ansprüche nach dem Mindestlohngesetz könne zudem nicht erfolgen, da der MTV hierauf einen eigenständigen Anspruch gebe und es sich nicht um Entgelt für geleistete Arbeit handele.
(BAG, 20.09.2017 – 10 AZR 171/16)
Tipp für die Praxis:
- Die Entscheidung fügt sich nahtlos in die bisherige Rechtsprechung des BAG zum Mindestlohn ein. Arbeitgeber sind verpflichtet, auch bei Entgelten für Urlaubszeiten, Feiertage und Nachtarbeit die Mindestlohngrenzen zu beachten.
Befristung – Sachgrund – Eigenart der Arbeitsleistung
Die Eigenart der Arbeitsleistung iSv. § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 TzBfG kann die Befristung des Arbeitsvertrags einer Filmproduktionsgesellschaft mit einem Schauspieler sachlich rechtfertigen, auch wenn dieser aufgrund einer Vielzahl von befristeten Arbeitsverträgen langjährig in derselben Rolle einer Krimiserie beschäftigt wurde.
Der als Schauspieler tätige Kläger begehrte die Feststellung der Unwirksamkeit der Befristung seines Arbeitsverhältnisses. Die Beklagte schloss mit dem Kläger jeweils über einen Zeitraum von insgesamt 28 Jahren sog. „Mitarbeiter- bzw. Schauspielverträge“ ab, die sich auf einzelne oder innerhalb eines Kalenderjahres produzierte Folgen einer Krimiserie bezogen.
Im Anschluss an den bis Mitte November 2014 befristeten Schauspielvertrag teilte die Beklagte mit, dass das Vertragsverhältnis aufgrund der Befristungsabrede beendet worden sei. Vorsorglich erklärte sie eine außerordentliche und hilfsweise ordentliche Kündigung. Der Kläger war der Ansicht, dass es für die Befristung seines letzten Vertrags an einem sachlichen Grund fehle. Bereits die Dauer der Beschäftigung von insgesamt 28 Jahren spreche dagegen, dass diese Kettenbefristung durch einen Sachgrund gerechtfertigt sein könne.
Das BAG hielt die Befristung – wie die Vorinstanzen – für zulässig, da aufgrund der Eigenart der Arbeitsleistung ein Sachgrund nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 TzBfG gegeben sei. Das BAG hob hervor, dass dieser Sachgrund eine Abwägung zwischen dem aus der Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG resultierenden Gestaltungsinteresse des Arbeitgebers und dem Interesse des Arbeitnehmers am Bestand seiner künstlerischen Tätigkeit aus Art. 12 Abs. 1 GG erfordert. Vorliegend überwiege das Interesse der Arbeitgeberin, da die Entscheidung über die jeweilige befristete Besetzung der Rolle auf künstlerischen Erwägungen beruhte. Die langjährige Tätigkeit des Klägers in der Krimiserie überwiege nicht das Interesse der Beklagten an einer kurzfristigen Weiterentwicklung des Serienformats und der damit einhergehenden Streichung der durch den Kläger gespielten Rolle.
(BAG, 30.08.2017 – 7 AZR 864/15)
Tipp für die Praxis:
- Die Befristung wegen der Eigenart der Arbeitsleistung ist insbesondere im Bereich der im Rundfunk tätigen Unternehmen relevant. Aufgrund der Rundfunkfreiheit ist anerkannt, dass Befristungsabreden mit Mitarbeitern zulässig sind, um kurzfristig inhaltliche Programmänderungen umsetzen zu können. Nach der oben genannten Entscheidung dürfte dies auch für Träger des Grundrechts auf Kunstfreiheit gelten.
Rechtsprechungsänderung zum Verhalten bei unbilligen Weisungen
Ein Arbeitnehmer muss im Anwendungsbereich des § 106 GewO eine unbillige Weisung des Arbeitgebers auch dann nicht befolgen, wenn noch keine entsprechende rechtskräftige Entscheidung der Gerichte für Arbeitssachen vorliegt.
Der Kläger war bei der Beklagten seit dem Jahre 2001 beschäftigt und zuletzt in Dortmund eingesetzt. Nachdem ein Kündigungsrechtsstreit zu Gunsten des Klägers entschieden worden war, teilte die vormalige Arbeitgeberin dem Kläger mit, ihn künftig in Berlin einsetzen zu wollen. Der Kläger nahm seine Arbeit dort jedoch nicht auf, woraufhin die Beklagte ihn im März 2015 und April 2015 abmahnte. Der Kläger erhob daraufhin Klage, um feststellen zu lassen, dass er zur Befolgung dieser Weisung nicht verpflichtet gewesen sei. Die Vorinstanzen gaben der Klage statt, da die Versetzung nicht billigem Ermessen entsprochen habe.
Der 10. Senat des BAG teilte diese Auffassung, sah sich an einer Entscheidung über die Revision der Beklagten aber zunächst gehindert, da der 5. Senat bislang die Ansicht vertrat, dass ein Arbeitnehmer sich über eine unbillige Ausübung des Weisungsrechts nicht hinwegsetzen dürfe, sondern die Arbeitsgerichte anrufen müsse, um die auf diesem Wege die Unverbindlichkeit der Weisung feststellen zu lassen.
Auf Anfrage erklärte nun der 5. Senat, dass er an seiner bislang vertretenen Auffassung nicht weiter festhalten wolle. Dies führt zu einer Änderung der Rechtsprechung. Unbillige Weisungen des Arbeitgebers sind für Arbeitnehmer folglich unverbindlich und begründen daher ein entsprechendes Leistungsverweigerungsrecht. Eine Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Anrufung der Arbeitsgerichte besteht nun nicht mehr.
(BAG, 14.09.2017 – 5 AS 7/17)
Tipp für die Praxis:
- Dem Arbeitnehmer steht im Falle einer unbilligen Weisung durch den Arbeitgeber künftig ein Leistungsverweigerungsrecht zu. Er muss dieser Weisung des Arbeitgebers nicht – auch nicht vorläufig – nachkommen. Im Falle einer solchen Weigerung riskiert der Arbeitnehmer allerdings, dass der Arbeitgeber die Arbeitsverweigerung zum Anlass für eine fristlose Kündigung nimmt. Die Rechtmäßigkeit der Weisung des Arbeitgebers wird dann Gegenstand des ggfs. zu führenden Kündigungsschutzverfahrens und dort im Rahmen der Wirksamkeit der Kündigung geprüft.
Kein Schadensersatz wegen nicht gewährter Urlaubstage
Der Anspruch des Arbeitnehmers auf Abgeltung des sog. Ersatzurlaubs richtet sich nach den Vorgaben des § 7 Abs. 4 BurlG und entsteht somit erst mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Vor der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses besteht kein Schadensersatzanspruch gegen den Arbeitgeber aus § 251 Abs. 1 BGB.
Zwischen den Parteien bestand eine Altersteilzeitvereinbarung der Art, dass die Arbeitnehmerin zuerst eine aktive Arbeitsphase von drei Jahren absolvierte, gefolgt von einer ebenso langen Freistellungsphase (sog. Blockmodell). Nachdem die Arbeitnehmerin von der Arbeits- in die Freistellungsphase eingetreten war, verlangte sie von ihrer Arbeitgeberin Schadensersatz wegen in der Arbeitsphase nicht gewährter Urlaubstage.
Das Bundesarbeitsgericht gab dem Urlaubsabgeltungsanspruch der Arbeitnehmerin in Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung nicht statt. Habe der Arbeitgeber den vom Arbeitnehmer rechtzeitig begehrten Urlaub nicht gewährt, wandele sich der im Verzugszeitraum verfallene Urlaubsanspruch in einen Schadensersatzanspruch um. Dieser habe die Gewährung von Ersatzurlaub zum Inhalt und trete an die Stelle des ursprünglichen Urlaubsanspruches. Der Anspruch auf Abgeltung von Ersatzurlaub richte sich nicht nach § 251 Abs. 1 BGB, sondern nach den Vorgaben des § 7 Abs. 4 BurlG und bestehe nur, wenn das Arbeitsverhältnis rechtlich beendet sei. Eine Beendigung in diesem Sinne liege bei bloßer Beendigung der Arbeitsphase der Altersteilzeit nicht vor. Somit bestehe in der Freistellungsphase der Altersteilzeit kein Anspruch auf Abgeltung des Ersatzurlaubsanspruches.
(BAG, 16.05.2017 – 9 AZR 572/16)
Tipp für die Praxis:
- Sollte das Arbeitsverhältnis zwar rechtlich noch nicht beendet sein, aber die gegenseitigen Leistungspflichten nicht aktiv vollzogen werden, was auch bei längeren Freistellungen denkbar ist, können etwaige Urlaubsansprüche nicht abgegolten werden.
- Ob die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG auch den Tod des Arbeitnehmers umfasst und zu einem Anspruch dessen Erben führt, wird uneinheitlich beurteilt. Das BAG lehnt diese Frage bisher unter Verweis auf § 7 Abs. 4 BUrlG ab. Ein entsprechender Vorlagebeschluss befindet sich derzeit beim EuGH (BAG, 18.11.2016, 9 AZR 196/16, NZA 2017, 207).
Anforderung an eine Befristung „auf Wunsch“ des Mitarbeiters
Eine Befristung, die auf das Erreichen einer anderen Altersgrenze als das Regelrentenalter abstellt, ist sachlich nicht gerechtfertigt.
Die Arbeitgeberin hatte 2003 ihren leitenden Führungskräften die Möglichkeit eröffnet, mit 60 Jahren aus dem Beruf auszuscheiden und dafür finanzielle Anreize geboten. Die Zielgruppe hatte zwei Jahre Zeit, sich zu überlegen, ob sie auf dieses Angebot eingehen möchte.
Die Klägerin unterzeichnete 2005 eine entsprechende Änderung ihres Arbeitsvertrages, ging 2013 jedoch gerichtlich gegen die ursprünglich getroffenen Befristungsabrede vor. Das LAG sowie das BAG kamen zu dem Ergebnis, dass es sich bei der Abrede von 2005 um einen Änderungsvertrag handele, der eine Befristung enthalte und somit den Vorschriften des TzBfG unterfalle. Ein Aufhebungsvertrag läge nur vor, wenn die Laufzeit die gesetzliche Kündigungsfrist lediglich unerheblich überschreiten und auf eine alsbaldige Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichtet sei.
Die Meinung des LAG, dass es sich um eine nach § 14 Abs.1 S.2 Nr.6 TzBfG gerechtfertigte Befristung („in der Peron des Arbeitnehmers liegende Gründe“) handelt, teilte das BAG jedoch nicht. Nach der Rechtsprechung des BAG kann zwar der Wunsch des Arbeitnehmers nach einer befristeten Tätigkeit eine solche Rechtfertigung darstellen; im entschiedenen Fall vertrat das BAG jedoch die Ansicht, dass letztlich allein die Beklagte von der Befristung profitiert habe. Allein die Unterzeichnung durch die Arbeitnehmerin lasse noch nicht auf einen entsprechenden Befristungswunsch schließen. Selbst die reifliche Überlegung der Klägerin lasse für sich gesehen nicht den autonomen Wunsch erkennen, ein befristetes Arbeitsverhältnis eingehen zu wollen.
Gerechtfertigt sein kann demgegenüber eine auf das Erreichen des Regelrentenalters bezogene Altersgrenzenregelung. Dies setze aber die direkte Anbindung an eine rentenrechtliche Versorgung nach dem Ausscheiden voraus, was bei einer Vertragsbeendigung mit 60 Jahren nicht der Fall ist.
(BAG, 18.01.2017 – 7 AZR 236/15)
Tipp für die Praxis:
- Die Rechtsprechung des BAG ist seit langem darauf gerichtet, eine versteckte Altersdiskriminierung durch vertragliche Vereinbarungen zu unterbinden. Aufhebungsverträge mit (älteren) Mitarbeitern sind daher nur kurz vor dem tatsächlichen Ausscheiden möglich – nicht bereits Jahre im Voraus. Länger vorausplanende Modelle müssen am gesetzlichen Rentenalter orientiert sein. Ist dies nicht der Fall, sollte bereits im Vorfeld sauber dokumentiert werden, dass die Initiative zur Befristung vom Arbeitnehmer ausging und dieser von der Regelung profitiert.