Zusammenfassung
Ein Aufsichtsratsmitglied, das durch sein wiederholtes Fernbleiben von Aufsichtsratssitzungen die Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats verhindert, kann aus wichtigem Grund gerichtlich abberufen werden.
Grundsätzlich ist der Aufsichtsrat zwar nur beschlussfähig, wenn mindestens drei seiner Mitglieder an der Beschlussfassung teilnehmen. In Ausnahmefällen ist der Aufsichtsrat jedoch auch mit nur zwei seiner Mitglieder beschlussfähig. Ein solcher Ausnahmefall liegt nach dem Bundesgerichtshof (BGH) vor, wenn das dritte Mitglied durch sein wiederholtes Fernbleiben von Sitzungen die Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats verhindert, und die übrigen Mitglieder deshalb beschließen wollen, bei Gericht die Abberufung des dritten Mitglieds zu beantragen.
Ein Aufsichtsrat, der wegen eines wiederholt fernbleibenden Aufsichtsratsmitglieds beschlussunfähig ist, kann hingegen nicht (unmittelbar) die gerichtliche Bestellung eines neuen Mitglieds beantragen, das an Stelle des fernbleibenden Aufsichtsratsmitglieds treten soll.
Sachverhalt
Der Aufsichtsrat der betroffenen Aktiengesellschaft bestand nach der Satzung aus drei Mitgliedern und war nach Satzung und Gesetz (§ 108 Abs. 2 S. 3 AktG) nur beschlussfähig, wenn alle drei Mitglieder an der Beschlussfassung teilnehmen.
In einer außerordentlichen Hauptversammlung bestellten die beiden alleinigen Aktionäre der Gesellschaft, denen jeweils die Hälfte der Aktien gehörte, einen der beiden Aktionäre der Gesellschaft zum dritten Aufsichtsratsmitglied. Dieses dritte Aufsichtsratsmitglied nahm in der Folgezeit jedoch nicht an den Aufsichtsratssitzungen teil und verhinderte damit die Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats.
Die beiden übrigen Aufsichtsratsmitglieder sowie der Vorstand der Gesellschaft beantragten deshalb beim Registergericht, ein Ersatzaufsichtsratsmitglied für das neu bestellte, dritte Aufsichtsratsmitglied zu bestellen. Das Registergericht wies diesen Antrag zurück. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Antragsteller blieb erfolglos.
Entscheidung des Gerichts
Keine gerichtliche Ersatzbestellung…
Der BGH entschied, dass die Voraussetzungen für die Bestellung eines Ersatzaufsichtsratsmitglieds – entsprechend dem Antrag – nicht gegeben seien. Denn eine Ersatzbestellung erfordere, dass dem Aufsichtsrat die zur Beschlussfähigkeit nötige Zahl von Mitgliedern nicht angehöre (§ 104 Abs. 1 S. 1 AktG), der Aufsichtsrat also unterbesetzt sei. Dies war aber nicht der Fall, da - trotz des Boykottverhaltens - tatsächlich drei Aufsichtsratsmitglieder bestellt waren und der Aufsichtsrat damit vollständig besetzt war.
Nach Ansicht des BGH liege auch kein Fall vor, der einer Unterbesetzung gleichzusetzen wäre, wie etwa eine dauerhafte Amtsverhinderung. Denn das dritte Aufsichtsratsmitglied verweigere die Mitwirkung aus eigenem Interesse und könne damit jederzeit die von ihm herbeigeführte Situation beenden. Auch sei eine gerichtliche Ergänzung nicht geeignet, die Situation rechtssicher aufzulösen, da das Amt des gerichtlich bestellten Mitglieds automatisch erlischt, sobald der Mangel behoben ist (§ 104 Abs. 6 AktG), also z. B. das boykottierende Mitglied des Aufsichtsrats doch zu den Aufsichtsratssitzungen erscheine. Das gerichtlich bestellte Mitglied habe es daher in der Hand, durch sein Erscheinen zur Aufsichtsratssitzung nach der (hypothetischen) gerichtlichen Ersatzbestellung die Beschlussfähigkeit wieder herzustellen, was zum Amtsverlust des gerichtlich bestellten Aufsichtsratsmitglieds führt. Es bedürfe anschließend einer erneuten gerichtlichen Ersatzbestellung, wenn das Aufsichtsratsmitglied zu seinem obstruktiven Verhalten zurückkehre.
…aber gerichtliche Abberufung möglich
Das Gericht führte jedoch aus, dass das Aufsichtsratsmitglied aufgrund seines Boykottverhaltens aus wichtigem Grund gerichtlich abberufen werden könne (§ 103 Abs. 3 S. 1 AktG). Zwar erfolge eine solche gerichtliche Abberufung nur auf Antrag des Aufsichtsrats, der über die Antragsstellung zuvor wirksam beschließen müsse und damit regulär nicht gefasst werden könne, wenn der Aufsichtsrat nicht beschlussfähig sei. Wenn die mangelnde Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats aber auf dem pflichtwidrigen Verhalten des Aufsichtsratsmitglieds beruhe, das aus wichtigem Grund abberufen werden soll, sei ausnahmsweise von dem formalen Erfordernis abzusehen, dass mindestens drei Mitglieder an der Beschlussfähigkeit teilnehmen müssen.
Das formale Erfordernis der Teilnahme von mindestens drei Mitgliedern (§ 108 Abs. 2 S. 3 AktG) sei vielmehr teleologisch zu reduzieren, d.h. auf die Voraussetzung von drei Mitglieder könne ausnahmsweise verzichtet werden, wenn der Aufsichtsrat ansonsten beschluss- und handlungsunfähig sei.
Praktische Auswirkungen und Praxishinweise
Besteht ein Aufsichtsrat nur aus der gesetzlichen Mindestzahl von drei Mitgliedern, und boykottiert ein Mitglied durch sein Fernbleiben von den Sitzungen die Beschlussfähigkeit, befanden sich Gesellschaften bisher oftmals in einer misslichen Lage.
Zwar kann ein Aufsichtsratsmitglied jederzeit von der Hauptversammlung abberufen werden. Ein solcher Beschluss erfordert nach dem Gesetz allerdings eine Dreiviertel-Stimmenmehrheit, die durch die Satzung auf eine einfache Mehrheit reduziert werden kann. Selbst eine einfache Mehrheit kann aber jedenfalls bei einem kleinen Aktionärskreis mit sich streitenden Aktionärsstämmen oft nicht zustande kommen.
Die Handlungsoptionen waren dann begrenzt:
- Das vorsätzlich abwesende Aufsichtsratsmitglied handelt zwar grundsätzlich pflichtwidrig und macht sich schadensersatzpflichtig, wenn der Gesellschaft durch die mangelnde Beschlussfähigkeit ein Schaden entsteht. In der Praxis ist es jedoch oft schwierig, einen Schaden nachzuweisen.
- Die Bestellung eines Ersatzmitglieds wurde zwar immer wieder in der Literatur diskutiert. Es war aber fraglich, ob ein solcher Antrag Erfolg haben würde, da die Voraussetzungen nach dem Gesetzeswortlaut nicht erfüllt sind. Wie die Entscheidung zeigt, hat sich auch der BGH im Ergebnis dieser Auffassung angeschlossen.
- Die – an sich naheliegende – gerichtliche Abberufung aus wichtigem Grund scheiterte bislang immer daran, dass ein solche Abberufung eines Antrags des Aufsichtsrats bedurfte, der aber gerade nicht wirksam beschließen konnte. Eine sog. teleologische Reduktion, wie sie nunmehr der BGH vorgenommen hat, fällt in den Bereich der sog. Rechtsfortbildung, der den obersten Gerichten zugewiesen ist (vgl. § 132 Abs. 4 Gerichtsverfassungsgesetz). Dies könnte der Grund sein, warum Gerichte bisher zurückhaltend waren, den nunmehr vom BGH beschrittenen Weg zu gehen. Für die Praxis ist die Entscheidung eine große Erleichterung, weil es den betroffenen Gesellschaften erstmals eine effektive Handhabe gibt, mit boykottierenden Aufsichtsratsmitgliedern umzugehen.
Wie der Fall anschaulich vor Augen führt, besteht bei einem Aufsichtsrat, der nur aus der gesetzlichen Mindestzahl von drei Mitgliedern besteht, generell das latente Risiko der Beschlussunfähigkeit, sobald ein Mitglied an der Beschlussfassung verhindert ist, häufig z.B. durch Krankheit. Es empfiehlt sich daher, den Aufsichtsrat von vornherein größer zu bemessen. Sofern die Gesellschaft nicht der unternehmerischen Mitbestimmung unterliegt, muss die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder dabei nicht durch drei teilbar sein, sondern kann z.B. auch aus vier oder fünf Mitgliedern bestehen.