Am 13.03.2024 hat das Bundeskartellamt seinen Fallbericht zu seiner Entscheidung B10-21/21 vom 19.02.2024 veröffentlicht. Gegenstand des Verfahrens war das österreichische Unternehmen „Pfanner Schutzkleidung GmbH” (fortan: Pfanner), das Funktions- und Schutzkleidung im Hochpreissegment produziert. Nach dem Bundeskartellamt hat Pfanner gegen das Kartellrecht verstoßen, indem es mit seinen Händlern Absprachen über Mindestpreise getroffen hat. Das Bundeskartellamt verhängte daher gegen Pfanner ein Bußgeld in Höhe von 783.900 €. Die Händler verfolgte das Bundeskartellamt hingegen nicht.

I. Der Pfanner-Case

Im Zeitraum von Anfang 2016 bis Ende November 2021 vereinbarte Pfanner mit seinen Fachhändlern im On- wie im Offline-Handel, ihre Preise an den von Pfanner ausgegebenen unverbindlichen Preisempfehlungen zu orientieren. Anstelle von Preisrabatten sollten die Händler ihren Kunden vielmehr günstige Gratisprodukte zu ihren Artikelbestellungen anbieten. Hielten sich die Unternehmen nicht an die Preisgrenzen, sanktionierte Pfanner die betreffenden Händler durch Liefersperren und -verzögerung bis hin zur vollständigen Beendigung der Lieferbeziehung.

Für die Überwachung des Preisniveaus entwickelte Pfanner ein zentralisiertes System, bei dem das Unternehmen die Preise der Händler regelmäßig überprüfte. Zusätzlich gab es für Händler die Möglichkeit, bei Pfanner Beschwerde über Konkurrenten einzulegen, wenn diese das Preisniveau unterschritten. Über die direkten Abnehmer hinaus umfasste das System auch die Überwachung der nachgelagerten Händler (sog. Subhändler).

II. Zulässigkeit von Preismechanismen im Vertikalverhältnis

In dem Festschreiben und Überwachen des Preisniveaus – sog. Retail Price Maintenance (fortan: RPM) – sah das Bundeskartellamt einen Verstoß gegen das Kartellverbot aus Art. 101 AEUV bzw. § 1 GWB. Denn durch die RPM Pfanners war es den Händlern nicht mehr möglich, untereinander in einen Preiswettbewerb zu treten. Produzenten und Händler stehen dabei auf nachgelagerten Stufen der Wertschöpfungskette und damit in einem vertikalen Verhältnis. Pfanners RPM war somit eine vertikale Wettbewerbsbeschränkung. Zwar ist es Produzenten grundsätzlich erlaubt, den Händlern Preisempfehlungen als einseitige Maßnahme für den Verkauf ihrer Produkte an die Hand zu geben (sog. UVP), bei denen es den Händlern weiterhin freisteht, ihre Preise unabhängig von der UVP zu setzen. Die Preisempfehlung darf die Händler aber nicht in ihrer Freiheit beschränken, Preise selbstständig festzulegen.

Es ist dem Hersteller daher kartellrechtlich verboten, die UVP durchzusetzen, indem er dem Händler bei Nichteinhaltung der UVP Nachteile androht oder ihm Vorteile wie Rabatte für die Einhaltung des Preisniveaus gewährt. Die Grenze zwischen einer kartellrechtlich unbedenklichen UVP und einem verbotswidrigen Verhalten kann dabei schnell überschritten sein: So hat das Bundeskartellamt bereits die bloße Druckausübung als kartellrechtswidriges Verhalten qualifiziert (siehe BKartA v. 20.8.2012 – B5–20/10). Diese kann schon darin liegen, dass der Produzent die Preislisten (mehrmalig) zum Gesprächsinhalt macht, was das Bundeskartellamt als vertikale Wettbewerbsbeschränkung erachtet (siehe BKartA v. 25.9.2009 – B3–123/08).

Grundsätzlich bestehen jedoch Möglichkeiten, vertikale Vereinbarungen vom Kartellverbot auszunehmen. Hierzu hat der Europäische Gesetzgeber 2022 die neue Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung (fortan: Vertikal-GVO) verabschiedet und wenige Wochen später veröffentlichte auch die Europäische Kommission ihre Leitlinien für vertikale Beschränkungen (fortan: Vertikalleitlinien). Art. 2 Vertikal-GVO enthält dabei eine weiträumige Ausnahme vom Kartellverbot für vertikale Vereinbarungen. Nach Art. 4 Vertikal-GVO gilt dies aber nicht für sog. Kernbeschränkungen. Darunter fällt – unabhängig des Vertriebssystems – auch „die Beschränkung der Möglichkeit des Abnehmers, seine Verkaufspreise selbst festzusetzen; dies gilt unbeschadet der Möglichkeit des Anbieters, […] Preisempfehlungen auszusprechen“ (Art. 4 lit. a). Preisempfehlungen sind der Vertikal-GVO zufolge demnach zwar grundsätzlich möglich, finden ihre Grenzen aber – ähnlich wie in den Entscheidungen vom Bundeskartellamt und den Vertikalleitlinien – in der Ausübung von Druck oder der Gewährung von Anreizen für die Einhaltung. Erwähnenswert ist zudem, dass nach Kritik des Entwurfes der neuen Vertikalleitlinien auch die „minimum advertised prices“-Verhaltensweise nun ausweislich der finalen Fassung der Vertikalleitlinien als Preisbindung zweiter Hand zu qualifizieren ist. Hiernach ist es ebenfalls unzulässig, den Händler zu verbieten, Preise unterhalb eines bestimmten Betrages zu bewerben.

III. Auskunftsbeschluss nach § 82b GWB

Neben die materiellen Fragen zu den vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen tritt in der aktuellen Entscheidung des Bundeskartellamts auch eine verfahrensrechtliche Besonderheit. So hat das Bundeskartellamt in dem Verfahren umfangreiche Informationen im Wege eines Auskunftsbeschlusses eingeholt. Grundsätzlich stehen dem Bundeskartellamt verschiedene Ermittlungsbefugnisse zu, um in einem Verfahren die notwendigen Informationen zu erlangen. In der Vergangenheit hat das Bundeskartell häufig auf unangekündigte Durchsuchungen zurückgegriffen (sog. Dawn Raids). Mit der 10. GWB-Novelle aus dem Jahr 2021 hat der deutsche Gesetzgeber dem Bundeskartellamt eine weitere Möglichkeit an die Hand gegeben, um an für die Aufklärung des Falles wichtige Informationen zu gelangen: Nach § 82b GWB kann das Bundeskartellamt in Ordnungswidrigkeitsverfahren einen Auskunftsbeschluss gegen das Unternehmen erlassen. Die Unternehmen sind in diesem Fall verpflichtet, den Auskunftsbeschluss wahrheitsgemäß zu beantworten.

Dieser Auskunftsbeschluss wurde Pfanner in Zusammenarbeit mit der österreichischen Bundeswettbewerbsbehörde zugestellt. Daraufhin teilte Pfanner dem Bundeskartellamt umgehend die benötigten Informationen mit und stimmte einer einvernehmlichen Verfahrensbeendigung (sog. Settlement) zu. Aufgrund des kooperativen Verhaltens Pfanners, das ein zügiges Ende des Verfahrens ermöglichte, hat das Bundeskartellamt dem Unternehmen einen Abschlag auf die Geldbuße gewährt.

IV. Auswirkungen und Ausblick

Ob eine vertikale Vereinbarung eine kartellrechtlich verbotene Handlung darstellt, ist oft eine Gradfrage. So kann eine vertikale Preisabsprache ausweislich der Vertikalleitlinien ungeachtet der Vorgaben der Vertikal-GVO im Einzelfall beispielsweise auch aufgrund effizienzsteigernder Effekte im Sinne des Art. 101 Abs. 3 AEUV vom Wettbewerbsverbot freigestellt sein. Die in den Vertikalleitlinien nicht abschließenden genannten Fallgruppen gehen von Effizienzgewinnen im Zuge einer Produkteinführung, bei kurzfristigen Sonderangeboten in Franchise- oder ähnliche gelagerten Systemen (z.B. selektive Vertriebssysteme) sowie von Effizienzgewinnen zur Vermeidung von „Trittbrettfahrerpraktiken“ aus. Ein solcher „Trittbrettfahrerschutz“ ist insbesondere dann gerechtfertigt, wenn die durch eine Preisbindung gewonnene Marge den Händler in die Lage versetzen soll, Beratungsleistungen für relativ neue oder technisch komplexe Produkte anzubieten, ohne der Gefahr ausgesetzt zu sein, dass ein anderer Anbieter das Produkt für einen günstigeren Preis anbietet, der diese Beratungsleistung nicht anbietet und dementsprechend auch nicht einpreisen muss. In der Regel ist der Einzelfall daher genau auszuleuchten, um bestimmen zu können, ob es sich um ein (noch) zulässiges Verhalten handelt. Im Fall von Pfanner war dies aufgrund des systematischen Hinwirkens auf die UVP jedoch ausnahmsweise eindeutig.

In Zukunft ist angesichts der geringeren personellen Belastung im Vergleich zu Dawn Raids vermehrt mit Auskunftsbeschlüssen des Bundeskartellamtes zu Ermittlungszwecken zu rechnen. Die Unternehmen sind verpflichtet, diese Auskunftsbeschlüsse ordnungsgemäß zu beantworten. Dennoch lohnt auch hier eine gehörige Prüfung zur Reichweite dieser Pflichten unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles. Zudem verdeutlicht die Reduzierung des Bußgeldes, dass es von Vorteil sein kann, kooperativ mit den Kartellbehörden zusammenzuarbeiten.

Denjenigen, die durch das Verhalten von Pfanner geschädigt wurden, steht nun die Möglichkeit offen, vor den Gerichten Schadensersatz im Rahmen einer follow-on Klage zu erstreiten, nach dem deutschen Recht nach § 33a GWB.

Schließlich veranschaulicht das Verfahren gegen Pfanner eindrücklich den breiten Blickwinkel des Bundeskartellamtes: Auf der einen Seite führt das Kartellamt aufwändige Verfahren gegen weltweit agierende Technologieunternehmen, wie Google, Apple, Meta, Microsoft und Amazon. Auf der anderen Seite sorgt die Wettbewerbsbehörde auch dafür, dass kleinere Unternehmen das Kartellrecht ebenso einhalten. Damit zeigt das Bundeskartellamt: Wettbewerbsrecht gilt für alle!



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