Einleitung
Die EU-Mitgliedsstaaten verfolgen Verstöße gegen EU-Sanktionen zum Teil sehr unterschiedlich. Während Sanktionsverstöße in einigen Mitgliedsstaaten – wie etwa Deutschland – als Straftat geahndet werden können, führen Verstöße in anderen Mitgliedsstaaten lediglich zur Verhängung von Geldbußen oder zu verwaltungsrechtlichen Konsequenzen. Dieser Flickenteppich resultiert insbesondere daraus, dass die EU im Ausgang keine eigene Strafrechtssetzungskompetenz hat, d.h. nicht selbst einheitliche Straftatbestände in den Mitgliedsstaaten für EU-Sanktionsverstöße erlassen kann.
Nach Art. 83 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) kann die EU jedoch, unter engen Voraussetzungen in Bereichen besonders schwerer Kriminalität, die Mitgliedsstaaten durch Richtlinien anweisen, Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen zu erlassen. Da jedoch Verstöße gegen EU-Sanktionsvorschriften bisher nicht als Bereich der „besonders schweren Kriminalität“ in Art. 83 AEUV eingestuft wurden, hat der Rat der Europäischen Union (Rat) am 28.11.2022 beschlossen, auch diese Verstöße in die Liste der „EU-Straftatbestände“ aufzunehmen, um eine Rechtsgrundlage für einheitliche Standards zu schaffen.
Auf dieser neu geschaffenen Rechtsgrundlage hat die Europäische Kommission (EU-Kommission) am 02.12.2022 einen Richtlinienvorschlag zur Harmonisierung der strafrechtlichen Verfolgung bei Verstößen gegen EU-Sanktionen vorgelegt. Der Rat zog am 09.06.2023 nach und legte ebenfalls seine Verhandlungsposition zu einem Richtlinienvorschlag fest. Vom Europäischen Parlament (EU-Parlament) liegt derzeit lediglich ein kommentierter Richtlinienentwurf des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres vor. Sobald sich auch das EU-Parlament mit einem endgültigen Vorschlag positioniert hat, ist der Weg frei für die abschließenden Verhandlungen über einen Richtlinientext.
Richtlinienvorschlag der EU-Kommission
Der Richtlinienentwurf der EU-Kommission legt insbesondere eine einheitliche Definition von strafbaren Verstößen gegen EU-Sanktionen fest, wie etwa die Bereitstellung von Geldern oder wirtschaftlichen Ressourcen an sanktionierte Personen, den Handel mit sanktionierten Waren oder die Erbringung verbotener Dienstleistungen. Auch bestimmte Umgehungshandlungen gegen die EU-Sanktionen sollen als Verstöße erfasst werden, wie zum Beispiel die Verschleierung von Geldern, die sich im Besitz von sanktionierten Personen befinden. Durch einheitliche Umgehungsverbote soll insbesondere auch dem Risiko des sogenannten „Forum Shoppings“ wirksam begegnet werden, bei dem sich Kriminelle für ihre Aktivitäten den Mitgliedstaat mit dem geringsten Strafverfolgungsrisiko oder dem geringsten Strafmaß aussuchen.
Darüber hinaus zielt der Richtlinienvorschlag darauf ab, grenzüberschreitende Ermittlungen und Strafverfolgungen zu fördern und die nationalen Durchsetzungsketten zu verbessern, um Ermittlungen, Strafverfolgungen und Sanktionen zu erleichtern. Der Richtlinienvorschlag legt auch Mindeststrafen für Sanktionsverstöße fest. So sollen die Mitgliedstaaten etwa sicherstellen, dass Verstöße von natürlichen Personen mit Geld- und Freiheitsstrafen geahndet werden können. Das Mindesthöchstmaß für Freiheitsstrafen soll dabei bei einem Jahr (im Fall bestimmter Umgehungstatbestände) und fünf Jahren (im Übrigen) liegen, wenn es sich um Transaktionen im Wert von mindestens € 100.000 handelt. Verstöße gegen EU-Sanktionen, die von juristischen Personen begangen werden, sollen ebenfalls sanktioniert werden. Das Mindesthöchstmaß der Sanktionen soll hierbei zwischen 1 % (im Fall bestimmter Umgehungstatbestände) und 5 % (im Übrigen) des weltweiten Gesamtumsatzes der juristischen Person liegen.
Mit Blick auf die subjektive Tatbestandsseite ist zudem hervorzuheben, dass der Richtlinienvorschlag Strafbarkeiten für bestimmte Sanktionsverstöße auch dann vorsieht, wenn sie nur grob fahrlässig begangen werden, während im deutschen Außenwirtschaftsstrafrecht bislang zumindest bedingter Vorsatz erforderlich ist.
Allgemeine Ausrichtung des Rates
Aufbauend auf dem Richtlinienvorschlag der EU-Kommission präzisiert der Rat in seiner allgemeinen Ausrichtung vom 09.06.2023 zunächst, dass die mindestharmonisierende Richtlinie nur für schwerwiegende Verstöße gelten sollte. Damit sollen etwa solche Verstöße, denen Transaktion im Wert von weniger als € 10.000 zu Grunde liegen, vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen werden.
Mit Blick auf die Bemessung von Geldbußen gegenüber juristischen Personen schlägt der Rat für die Mitgliedstaaten zudem ein Alternativkonzept vor: Entweder kann für die Bemessung ein prozentualer Anteil am weltweiten Gesamtumsatz herangezogen werden – das Mindesthöchstmaß soll dann bei 1 % (bei bestimmten Umgehungstatbeständen) bzw. 5 % (im Übrigen) des weltweiten Gesamtumsatzes der juristischen Person liegen. Alternativ kann auf absolute Beträge abgestellt werden, wobei das Mindesthöchstmaß der Geldbuße bei € 8 Mio. (bei bestimmten Umgehungstatbeständen) bzw. € 40 Mio. (im Übrigen) liegen soll. Die allgemeine Ausrichtung des Rates klammert die grob fahrlässige Begehung zudem wieder aus und möchte einzig den vorsätzlichen Verstoß gegen EU-Sanktionen als Straftat ansehen.
Entwurfsvorschlag des EU-Parlaments
Am 07.07.2023 haben auch die Mitglieder des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres einen Entwurf für ein Verhandlungsmandat vorgelegt.
Der Entwurf erweitert insbesondere die Definition von Umgehungsgeschäften und verschärft die Ahndung bei Verstößen gegen die EU-Sanktionen. So sollen Geldstrafen gegen natürliche Personen im Mindesthöchstmaß € 10 Mio. betragen, wenn einer Straftat eine Transaktion im Wert von € 100.000 zu Grunde liegt. Sanktionen gegen juristische Personen sollen zudem im Mindesthöchstmaß 15 % des weltweiten Gesamtumsatzes der juristischen Person betragen. Darüber hinaus betont der Entwurf die Rolle der Europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA) bei der Verfolgung von Verstößen gegen EU-Sanktionen. Im Gegensatz zu den Fassungen des Rates und der EU-Kommission sieht der Entwurf des EU-Parlaments überdies vor, dass im Einzelfall bereits einfache Fahrlässigkeit für eine Strafbarkeit ausreichen kann.
Aktueller Rechtsrahmen in Deutschland und mögliche Auswirkungen der Umsetzung in nationales Recht
Verstöße gegen EU-Sanktionen können bereits jetzt zu erheblichen straf- und bußgeldrechtlichen Konsequenzen für Unternehmen und ihre Mitarbeiter führen. Nationale Regelungen mit Blick auf die Rechtsfolgen bei Verstößen gegen EU-Sanktionen finden sich in Deutschland insbesondere in den
§§ 17 ff. Außenwirtschaftsgesetz (AWG).Strafbewehrt sind z.B. Verstöße gegen Ausfuhr-, Einfuhr-, Durchfuhr-, Verkaufs-, Erwerbs-, Bereitstellungs-, Weitergabe-, Investitions- oder Dienstleistungsverbote. Zudem werden Verstöße gegen Genehmigungspflichten und gegen Verfügungsverbote über eingefrorene Gelder und wirtschaftliche Ressourcen unter Strafe gestellt.
Im Ergebnis sind damit bereits de lege lata vielfältige Handlungsweisen bei Verstößen gegen EU-Sanktionsvorschriften im deutschen Recht strafbewehrt, sodass die von den EU-Institutionen vorgeschlagenen Definitionen strafbarer Handlungen bereits weitgehend vom deutschen Recht erfasst sein dürften.
Interessant wird jedoch etwa zu beobachten sein, wie die Regelungen zu den Umgehungsverboten in nationales Recht umgesetzt werden, da solche Verstöße im deutschen Recht derzeit nicht explizit unter Strafe gestellt sind (wenngleich sie je nach Fallgestaltung über die strafrechtlichen Zurechnungsnormen bereits weitestgehend erfasst sein dürften). Nicht minder spannend wird zu beobachten sein, ob zukünftig auch fahrlässige Verstöße gegen EU-Sanktionen zu einer Strafbarkeit führen können und damit ein Paradigmenwechsel im deutschen Außenwirtschaftsstrafrecht stattfindet. Dies könnte zu einer erheblichen Ausweitung der Strafbarkeits- und Bußgeldrisiken für Unternehmen und ihre Mitarbeiter führen.
Ausblick und Herausforderungen für Unternehmen und ihre Mitarbeiter
Auf welchen konkreten Richtlinientext sich geeinigt werden kann bleibt abzuwarten. Die aktuelle Diskussion um die geplante Harmonisierung des EU-Sanktionsstrafrechts zeigt jedoch bereits jetzt die wachsende Bedeutung von sanktionsadäquaten Compliance-Maßnahmen. Sanktionslistenscreenings, die sanktionsrechtliche Überprüfung eigener Produkte, die Beachtung von Bereitstellungs- und Umgehungsverboten sowie die Berücksichtigung etwaiger Meldepflichten werden daher auch in Zukunft zum Standardrepertoire von Unternehmen gehören, die in den Anwendungsbereich von EU-Sanktionen fallen. Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Bestrebungen zur Angleichung von Straftatbeständen und Sanktionen bei Verstößen gegen EU-Sanktionen wird es mehr denn je darauf ankommen, dass Unternehmen über ein effektives System zur Sicherstellung der Einhaltung der Sanktionsvorschriften verfügen.
Unternehmen sollten daher bereits jetzt ihre Geschäftstätigkeit genau auf ihr Risikopotenzial im Hinblick auf die EU-Sanktionsverordnungen prüfen und ihr Compliance Management System entsprechend anpassen, um sowohl die einzelnen Mitarbeiter als auch das Unternehmen als Ganzes bestmöglich vor bußgeld- und strafrechtlichen Risiken zu schützen.