Der deutsche Gesetzgeber hat das deutsche Beweishilferecht modernisiert und erstmals die internationale Rechtshilfe für Verlangen auf Dokumentenherausgabe, besser bekannt als „pretrial discovery of documents“, eingeführt. Im Gegensatz hierzu hat der US Supreme Court der gerichtsgestützten Discovery in internationalen Schiedsverfahren einen Riegel vorgeschoben.
Hintergrund
Mit den Neufassungen der Europäischen Zustellungsverordnung VO (EU) 2020/1784 (EuZVO 2022) und der Europäischen Beweisaufnahmeverordnung VO (EU) 2020/1783 (EuBVO 2022) im Jahr 2020 sollen grenzüberschreitende Zustellungen und Beweisaufnahmen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union beschleunigt und vereinfacht werden. In Deutschland traten mit Wirkung zum 1. Juli 2022 die erforderlichen Änderungen durch das „Gesetz zur Durchführung der EUVerordnungen über grenzüberschreitende Zustellungen und grenzüberschreitende Beweisaufnahmen in Zivil- oder Handelssachen“ (BGBl. I 2022, 959) in Kraft. Insbesondere die Neufassung von § 14 des „Gesetzes zur Ausführung des Haager Übereinkommens vom 15. November 1965 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen und des Haager Übereinkommens vom 18. März 1970 über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- oder Handelssachen“ (HZÜ/HBÜ AusführungsG) erweitert bestehende Rechtshilfemöglichkeiten in Bezug auf die sogenannte “pre-trial discovery of documents“. Diese war bisher nicht möglich, weil die Bundesrepublik Deutschland gemäß dem Vorbehalt des § 23 HBÜ Rechtshilfeersuchen nicht erledigte, die „ein Verfahren zum Gegenstand haben, das in Common-Law-Staaten unter der Bezeichnung „pre-trial discovery of documents“ bekannt ist.“ Die Folge war, dass bestimmte Dokumentenvorlagen zwar für rein nationale deutsche Gerichtsverfahren unter den Voraussetzungen des § 142 ZPO zulässig, aber für Beweisaufnahmeersuchen aus Common-Law-Staaten unzulässig waren. Diese unterschiedliche Behandlung sollte nun beseitigt werden.
Anspruchsvoraussetzungen
Rechtshilfeersuchen, die auf eine „pre-trial discovery of documents“ gerichtet sind, werden allerdings nur unter engen Voraussetzungen bezüglich der vorzulegenden Dokumente erledigt. Dazu muss kumulativ erfüllt sein, dass (i) die vorzulegenden Dokumente im Einzelnen genau bezeichnet sind, (ii) diese für das jeweilige Verfahren und dessen Ausgang von unmittelbarer und eindeutig zu erkennender Bedeutung sind, (iii) sich die Dokumente im Besitz einer an dem Verfahren beteiligten Partei befinden und (iv) das Herausgabeverlangen nicht gegen wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts verstößt. Durch diese engen Voraussetzungen bleiben weitreichende Ausforschungen („fishing expeditions“) weiterhin unzulässig.
Allgemein müssen, soweit personenbezogene Daten betroffen sind, die datenschutzrechtlichen Anforderungen an die Übermittlung in ein Drittland erfüllt sein. Dies kann beispielsweise die Anonymisierung/Pseudonymisierung und/oder den Ausschluss bestimmter Informationen von der Übermittlung erforderlich machen. Am Rande sei in diesem Zusammenhang erwähnt, dass es seit Geltung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) vermehrt zu Fällen kommt, in denen die Klägerseite versucht, über Art. 15 DSGVO (Auskunft über personenbezogene Daten) an Informationen und Unterlagen in der Sphäre eines (potenziellen) Beklagten zu gelangen, um die Durchsetzbarkeit eines datenschutzfremden zivilrechtlichen Anspruchs beurteilen oder verbessern zu können. Das OLG Nürnberg hat dem exzessiven Gebrauch des datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruchs einen Riegel vorgeschoben mit Verweis auf die Ausnahmevorschrift des Art. 12 Abs. 5 Satz 2 DSGVO, wonach ein Weigerungsrecht bestehe, wenn der Antrag rechtsmissbräuchlich sei, etwa weil er der Verfolgung datenschutzfremder Zwecke diene (OLG Nürnberg, 14.03.2022 – 8 U 2907/21; ähnlich OLG Dresden, 29.03.2022 – 4 U 1905/21). Insoweit gibt es aber auch abweichende Ansichten, die einen Auskunftsanspruch nicht ablehnen, auch wenn primär vermögensrechtliche Ansprüche vorbereitet werden sollen (vgl. OLG Köln, 22.05.2022 – 20 U 198/21).
Entscheidung des US Supreme Court
In Bezug auf die Dokumentenherausgabeverlangen in internationalen Schiedsverfahren zwischen Unternehmen oder Individuen ist die Entscheidung im Fall ZF Automotive US, Inc., et al. v. Luxshare, Ltd. des US Supreme Courts vom 13.06.2022 zu erwähnen. Demnach dürfen US-Gerichte bei im Ausland angesiedelten Schiedsverfahren keine „discovery“, insbesondere keine umfassende Herausgabe von Dokumenten, anordnen. Dies deshalb, weil nur staatliche oder zwischenstaatliche Rechtsprechungsorgane als „foreign or international tribunal“ zu qualifizieren sind, was für private Institutionen wie die Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS), deren Regeln sich die Parteien unterworfen hatten, gerade nicht gelten würde. Die Entscheidung stellt klar, dass Parteien das Instrument der „discovery“ vor US-Gerichten nicht zur Durchbrechung von Schiedsvereinbarungen nutzen können.
Fazit
Die Änderung der deutschen Durchführungsvorschriften ist zu begrüßen. Sie stellt einen Gleichlauf zu der in Deutschland bestehenden Rechtslage her und schafft mehr Rechtssicherheit für deutsche Parteien, die einem Discovery-Ersuchen ausgesetzt sind. Allerdings war es zur Vermeidung von Prozessnachteilen schon bisher gängige Praxis, in ausländischen Gerichtsverfahren auf der Basis ausländischer Prozessordnungen Dokumente vorzulegen, auch wenn dies wegen der bisher bestehenden Beschränkungen außerhalb eines Rechtshilfeersuchens verlangt wurde. Es bleibt abzuwarten, ob man derartige Anfragen künftig erfolgreich auf den Weg der Rechtshilfe verweisen kann, zumal diese unter engen Voraussetzungen steht. Die Möglichkeit der Rechtshilfe könnte allerdings bei der Frage Bedeutung gewinnen, ob und in welchem Umfang man außerhalb eines formellen Rechtshilfeverfahrens gestellten Ersuchen, insbesondere mit Blick auf datenschutzrechtliche Beschränkungen, nachkommen kann.