Publikation
International arbitration report
In this edition, we focused on the Shanghai International Economic and Trade Arbitration Commission’s (SHIAC) new arbitration rules, which take effect January 1, 2024.
Publikation | Juli 2016
Das Referendum zum Brexit betrifft alle Unternehmen mit Sitz oder Niederlassung in einem EU-Staat, die wirtschaftliche Leistungsbeziehungen welcher Art auch immer mit dem Vereinigten Königreich unterhalten, sowie Unternehmen mit Sitz außerhalb der EU, die über besondere Handelsbeziehungen zur EU verfügen und Waren im Vereinigten Königreich vertreiben oder von dort beziehen.
Zum jetzigen Zeitpunkt ist allerdings noch keine maßgebliche Änderung eingetreten; die rechtlichen Rahmenbedingungen sind vollkommen unverändert. Die „Schockwellen“, die durch Politik und Wirtschaft gehen, stellen lediglich die Reaktion auf eine rein interne – und die Regierung des Vereinigten Königreichs noch nicht einmal bindende – Angelegenheit des Vereinigten Königreichs dar, die in Zukunft möglicherweise zu erwartende Veränderungen als Ungewissheit abbildet.
Sollte die Regierung des Vereinigten Königreichs den Austritt aus der EU beschließen und die Austrittsabsicht dem Europäischen Rat mitteilen, würden gemäß Art. 50 des EU-Vertrags Verhandlungen über die Einzelheiten des Austritts und die zukünftigen Beziehungen des Vereinigten Königreichs zur EU aufgenommen; die Ergebnisse würden in einer Austrittsvereinbarung (einschließlich „Nachfolgeregelungen“ über die zukünftigen wechselseitigen Beziehungen) niedergelegt. Nach Ablauf einer Frist von zwei Jahren nach formeller Mitteilung der Absicht, aus der EU auszutreten, würden die Europäischen Verträge im Verhältnis zum Vereinigten Königreich auch dann keine Anwendung mehr finden, wenn noch keine Austrittsvereinbarung geschlossen worden sein sollte; die Frist kann jedoch vom Europäischen Rat einstimmig und im Einvernehmen mit dem Vereinigten Königreich verlängert werden.
Sicherlich werden sich im Laufe der Brexit-Verhandlungen noch zahlreiche Fragen ergeben, die wir hier nicht vorwegnehmen können. Gleichermaßen werden sich Antworten auf zahlreiche, bereits jetzt identifizierbare Fragen erst im Laufe der nächsten Monate ergeben – oder auch wieder verändern. Auch wenn daher alles im Fluss ist und wir noch wenig Verlässliches berichten können, ist es aus unserer Sicht nicht zu früh, sich mit dem Thema „Brexit“ und seinen rechtlichen, wirtschaftlichen und geschäftlichen Folgen zu befassen. Im Folgenden möchten wir Ihnen daher einige uns besonders wesentlich erscheinende Themenbereiche vorstellen.
Wir sind jederzeit bereit, die Auswirkungen des Brexit auch auf hier möglicherweise nicht behandelte Spezialbereiche zu prüfen. Sprechen Sie uns hierzu gern an.
Frank Weberndörfer |
Im Bereich des Arbeitsrechts sind Auswirkungen des Brexit insbesondere auf Fälle der Entsendung von Arbeitnehmern, aber auch in weiteren Konstellationen zu erwarten.
Die Entsendung von Arbeitnehmern aus dem Vereinigten Königreich in einen Mitgliedsstaat der EU oder von einem Mitgliedsstaat der EU in das Vereinigte Königreich wird künftig wohl veränderten Regelungen insbesondere im Hinblick auf die Einreise- und Arbeitserlaubnis unterliegen. Dies ist umso bedeutsamer, als es im Falle von Verlagerungen von geschäftlichen Tätigkeiten aus dem Vereinigten Königreich in Mitgliedsstaaten der EU künftig vermehrt zu Entsendungen von besonders qualifizierten Fachkräften aus dem Vereinigten Königreich in Mitgliedsstaaten der EU kommen dürfte. Allgemein wird erwartet, dass diesbezügliche neue Regelungen in gesonderten Verträgen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU bzw. den einzelnen Mitgliedsstaaten vereinbart werden. Die in unserer bisherigen Beratungspraxis regelmäßig auftretenden Fragen – insbesondere des Arbeitsrechts, des Sozialversicherungsrechts, des Aufenthaltsrechts und des Rechts der Arbeitserlaubnis – werden dann neu zu bewerten sein.
Auswirkungen wird der Brexit auch auf grenzüberschreitende Arbeitnehmergremien haben. Sofern diesbezüglich keine Sonderregelungen erfolgen, würden die Beteiligungsrechte britischer Arbeitnehmer in einem Europäischen Betriebsrat oder dem Betriebsrat einer europäischen Aktiengesellschaft (SE) entfallen.
Schließlich sind Auswirkungen auf die Arbeitsverhältnisse in Niederlassungen oder Tochtergesellschaften deutscher Unternehmen im Vereinigten Königreich zu erwarten. Die Regierung und die Gerichte des Vereinigten Königreichs wären künftig nicht mehr gezwungen, die Vorgaben des europäischen Arbeitsrechtes einzuhalten. Auch wenn zu erwarten sein dürfte, dass die Regierung kurzfristig allenfalls einzelne der bisher aus dem Europäischen Recht übernommenen Regelungen rückgängig machen oder abändern würde, so ist auf mittlere Sicht eine unterschiedliche Entwicklung des Arbeitsrechts der EU und des Arbeitsrechts im Vereinigten Königreich zu erwarten.
Christoph Ritzer |
Das Brexit-Votum als solches ändert im Datenschutzrecht zunächst nichts.
Das Vereinigte Königreich bleibt für mindestens zwei weitere Jahre in der EU. Die derzeitige Datenschutzrichtlinie und deren heutige Umsetzung in britisches Recht (Data Protection Act 1998) gelten daher bis auf weiteres – das derzeit geltende Recht bliebe sogar nach einem Ausscheiden aus der EU in Kraft, stellt der Data Protection Act 1998 doch ein britisches Parlamentsgesetz dar. Vor einem Austritt dürfte theoretisch sogar noch die neue Datenschutz-Grundverordnung zum 25. Mai 2018 in Kraft treten. Nach derzeitigem Stand tritt diese auch für das Vereinigte Königreich noch automatisch in Kraft – es bleibt abzuwarten, ob im Rahmen der Verhandlungen mit der EU hier eine abweichende Regelung geschaffen wird.
Bei einem Austritt aus der EU unterläge das Vereinigte Königreich, abhängig vom Ergebnis der Austrittsverhandlungen, nicht mehr dem Anwendungsbereich des EU-Datenschutzrechts. Es besteht das Risiko, dass das Vereinigte Königreich von der Europäischen Kommission nicht mehr als sicherer Drittstaat angesehen wird.
Dieses Risiko hängt insbesondere von den gewählten Optionen zur künftigen Zusammenarbeit ab: Das Vereinigte Königreich könnte sich für einen Austritt aus der EU und gleichzeitigen Eintritt in den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) unter Beibehaltung des EU-Binnenmarkts entscheiden. Staaten des EWR – derzeit sind dies Island, Liechtenstein und Norwegen – werden vom geltenden Datenschutzrecht und der künftigen Datenschutz-Grundverordnung als sichere Drittstaaten behandelt. Auch das Modell der Schweiz wird derzeit diskutiert, die ebenfalls als sicheres Drittland gilt.
Kommt es hingegen zu einem „harten Ausstieg“, d.h. dass das Vereinigte Königreich nicht Mitglied des EWR wird, wird es zunächst zum Drittland. Im Rahmen der Austrittsverhandlungen wird dann zu verhandeln sein, ob das Vereinigte Königreich ein sicheres Drittland ist. Das scheint zumindest wahrscheinlich. Schließlich gelten bis zum Ausscheiden die EU-Datenschutzregelungen, und das Vereinigte Königreich könnte das geltende nationale Recht fortführen, das auf der EU-Richtlinie beruht. Es ist auch möglich, dass das Vereinigte Königreich einen Rechtsakt erlässt, der zwischen dem heutigen Data Protection Act 1998 und der neuen Datenschutz-Grundverordnung steht. In diesem Fall hätte die Kommission wenig Argumente, eine Einstufung als sicheres Drittland zu verweigern.
Einfluss auf die Diskussion könnte außerdem ein eventuelles Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte haben, welches die Tätigkeit der Geheimdienste in Großbritannien auf seine rechtliche Zulässigkeit überprüft.
Zunächst besteht im Datenschutzrecht kein Handlungsbedarf.
Es bleibt abzuwarten, welche der vorgenannten Austrittsoptionen realisiert wird. Wird das Vereinigte Königreich EWR-Mitglied, wird sich wenig ändern. Bleibt das Vereinigte Königreich hingegen außerhalb des EWR, wird die Unsicherheit größer sein, da das Vereinigte Königreich in diesem Falle vom „Wohlwollen“ der EU-Kommission abhängt, ob diese das Vereinigte Königreich zum sicheren Drittland erklärt; in einem solchen Fall müssten sämtliche Unternehmen, die in der EU tätig sind, ihre Übermittlungen von personenbezogener Daten in das Vereinigte Königreich neu überprüfen.
Felix Dinger |
Die Einflüsse des EU-Rechts auf die in den einzelnen Mitgliedstaaten anwendbaren Regelungen im Bereich des Energie- und Umweltrechts sind mannigfaltig. Nachfolgend geben wir einen ersten Überblick über die Auswirkungen eines möglichen Brexit auf zentrale Regulierungen in diesem Bereich:
Eines der Kernprojekte der EU-Energiepolitik der letzten zehn Jahre war die Energiemarktliberalisierung. Dabei hat die EU die Entflechtung der Erzeugung und des Netzbetriebs vorangetrieben (und auch durchgesetzt). Unabhängig davon, wie dieses Thema im Rahmen des Brexit „abgearbeitet“ wird, ist aus inhaltlicher Sicht nicht damit zu rechnen, dass das Vereinigte Königreich den eingeschlagenen Pfad der Liberalisierung in diesem Bereich verlassen wird, da diese Maßnahmen den bisherigen Interessen des Vereinigten Königreichs weitgehend entsprechen.
Mit dem Climate Change Act 1998 hat sich das Vereinigte Königreich auf nationalstaatlicher Ebene CO2 Reduzierungsziele gesetzt. Diese Ziele bleiben auch nach einem Brexit unverändert gültig. Nicht so eindeutig ist die weitere Teilnahme des Vereinigten Königreichs am EU-Emissionshandel (EU-ETS). Im Falle einer zukünftigen Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs im EWR ist damit zu rechnen, dass auch das Vereinigte Königreich – wie schon Norwegen, Island und Liechtenstein – an dem EU-ETS teilnehmen wird. Ansonsten wird eine Teilnahme an dem EU-ETS von den Verhandlungen der Austrittsmodalitäten abhängen. Dies gilt insbesondere für die Frage, ob britische Unternehmen noch Emissionszertifikate erhalten können bzw. ob existierende Zertifikate britischer Unternehmen noch im Rahmen des EU-ETS gehandelt werden können.
Das EU-weit gültige System für die Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien (REACH) beruht auf einer – in allen Mitgliedsstaaten unmittelbar und ohne nationalstaatlichen Umsetzungsakt Geltung entfaltenden – EU-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 1907/2006). Grundsätzlich gilt, dass Verordnungen nach einem Brexit im Vereinigten Königreich nicht automatisch weiter gelten. Dies würde auch die REACH-Verordnung betreffen. Allerdings müssen UK-Exporteure und EU-Unternehmen für ihre europäischen Aktivitäten die REACH-Anforderungen weiterhin erfüllten. Soweit auf Seiten des Vereinigten Königreichs ein Interesse an einer Aufweichung der strengen EU-Regeln besteht, dürfte jedoch zweifelhaft sein, ob sich die EU in den Austrittsverhandlungen insoweit auf substanzielle Erleichterungen einlassen wird. Das Vereinigte Königreich müsste daher wohl ein REACH zumindest stark ähnelndes System einführen. Falls es zu einer „norwegischen Lösung“, d.h. zu einem Austritt aus der EU und einen Eintritt in den EWR kommen sollte, ist es wahrscheinlich, dass auch das REACH-Regime weiterhin gilt, jedoch ohne dass das Vereinigte Königreich künftig auf die Gesetzgebung in diesem Bereich noch Einfluss nehmen kann.
Die beihilfenrechtlichen Regelungen der EU, insbesondere im Energiebereich, behalten nach einem Brexit auch für das Vereinigte Königreich ihre Wirkung, wenn das Vereinigte Königreich dem EWR beitritt. Das EWR-Abkommen enthält eine dem EU-Recht vergleichbare Beihilfenregelung. Ansonsten gilt auch im Bereich der Beihilfen, dass die EU-Regelungen in diesem Bereich nach einem Brexit nicht automatisch weiter gelten und die Verhandlungen über die konkreten Bedingungen eines Austritts abgewartet werden müssen.
Daniel Marschollek | Clemens Rübel | Ettje Trauernicht |
Die Einflüsse des EU-Rechts auf die Gewerblichen Schutzrechte sind gerade dann besonders deutlich, wenn das EU-Recht ein eigenes EU-weit wirkendes Schutzrecht vorsieht, wie dies mit der Unionsmarke und der Gemeinschaftssorte der Fall ist und wie es das Ziel der Bemühungen um das EU-Einheitspatent ist.
Der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU hätte keine unmittelbaren Auswirkungen auf das bestehende europäische Patentsystem.
Das europäische Patent ist kein Gemeinschaftsrecht. Es zeichnet sich vielmehr durch ein zentrales Erteilungsverfahren vor dem Europäischen Patentamt, einer internationalen Verwaltungsbehörde, aus. Nach Erteilung des Europäischen Patents erhält der Inhaber ein Bündel nationaler Patente. Dem Europäischen Patentübereinkommen gehören auch Nicht-EU-Länder an, wie z.B. Norwegen, die Schweiz und die Türkei. Parallel besteht auch weiterhin die Möglichkeit, seine technische Erfindung durch nationale Patente und Gebrauchsmuster schützen zu lassen.
Eine gewisse Unsicherheit für die Zukunft, allerdings kein unmittelbarer Handlungsbedarf besteht für die Pharma- und Agrarindustrie.
Das Recht über „Ergänzende Schutzzertifikate“ ist durch eine europäische Verordnung geregelt. Das ergänzende Schutzzertifikat verlängert bestehenden Patentschutz auf zulassungspflichtige Arznei- und Pflanzenschutzmittel um maximal fünf Jahre. Es soll einen Ausgleich für die durch Zulassungsverfahren verlorene Zeit der Nutzung der Patente darstellen. Die Verlängerung des Patentschutzes durch Schutzzertifikate ist vor allem für die Pharmaindustrie von enormer Bedeutung, da die Patentlaufzeitverlängerung für erfolgreiche Arzneimittel ein wichtiger Baustein für die Finanzierung ihrer vergleichsweise hohen Forschungskosten darstellt.
Auf Grund der hohen Bedeutung der Schutzzertifikate für die britische Industrie kann man davon ausgehen, dass die neue Regierung Übergangsregeln schaffen und nach dem Brexit eine ähnliche Schutzverlängerung wie in der EU anbieten wird. Die aktive Rechtsprechung des EuGH auf diesem Gebiet wäre dann aber nicht mehr unmittelbar anwendbar.
Einen Schatten wirft das Referendum der Briten für den EU-Austritt auf das geplante EU-Patent.
Seit vierzig Jahren wurde darüber verhandelt, ein einziges Schutzrecht für den gesamten Binnenmarkt zu kreieren, anstatt der derzeitigen Lösung des Bündels nationaler Patente. Es hätte gegenüber dem aktuellen Europäischen Patent insbesondere den Vorteil, dass es anstatt Land für Land in dem gesamten Gebiet der teilnehmenden Länder in einem einzigen Verfahren gegen Patentverletzer durchgesetzt werden könnte. Für Anmelder, die in einer großen Anzahl von EU-Mitgliedsländern und nicht nur in wenigen Schutz suchen, würden sich sowohl die Kosten als auch der Verwaltungsaufwand deutlich reduzieren. Dem steht das Risiko einer Vernichtung des Patents im gesamten Gebiet auf einen Streich gegenüber.
Die EU-Patent-Befürworter, zu denen zuletzt auch die deutsche Industrie gehörte, wähnten sich endlich am Ziel, denn es wurde mit einem Start Anfang 2017 gerechnet. Die zum Start notwendige Ratifizierung des Abkommens noch in diesem Jahr durch 13 Mitgliedsstaaten, worunter zwingend die nach Patentanmeldezahlen größten europäischen Länder Deutschland, Frankreich und eben das Vereinigte Königreich gehören, galt bis zum Referendum als sicher. Jetzt ist alles wieder offen. Zwar könnte das Vereinigte Königreich das Abkommen wie geplant dieses Jahr noch ratifizieren und rein theoretisch sogar noch durch spezielle Verträge über einen EU-Austritt hinaus daran teilnehmen – die große Mehrheit der Patentexperten beiderseits des Ärmelkanals würde das begrüßen – doch ist sehr zweifelhaft, ob die neue britische Premierministerin derzeit nicht dringendere Sorgen hat bzw. ob der politische Wille im Vereinigten Königreich überhaupt noch vorhanden ist, gerade jetzt eine neues EU-Recht und EU-Gerichtssystem mit ins Leben zu rufen. Daher wird vielmehr damit gerechnet, dass auch das EU-Patent in die Austrittsverhandlungsmasse fallen wird und sich somit das gesamte Projekt um einige Jahre verzögern wird. Das Ganze kompliziert sich noch durch die Tatsache, dass die Zentralkammer als wichtigstes EU-Patentgericht auf die Standorte Paris, München und London verteilt wurde. Bei einem Austritt des Vereinigten Königreichs müsste der dritte Standort der Zentralkammer wohl neu festgelegt werden. Auch müssten die Erteilungs- und Aufrechterhaltungsgebühren neu austariert werden, denn ohne Abdeckung des Vereinigten Königreichs verlöre das EU-Patent deutlich an Attraktivität. Darüber hinaus könnte die Sprachenfrage, die das gesamte Projekt bereits über Jahrzehnte blockiert hatte, neu aufflammen, denn Englisch wird auf dem Gebiet des EU-Patents nur noch für sehr wenige Muttersprache sein.
Unionsmarken und Gemeinschaftsgeschmacksmuster erstrecken sich auf alle 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union und gewähren ihrem Inhaber dort ein ausschließliches Recht.
Während das Procedere und die Wirkungen für den Beitritt neuer Mitgliedstaaten geregelt ist, fehlt eine entsprechende Regelung für den Fall eines Austritts eines Mitgliedstaates.
Sicher dürfte sein, dass Unionsmarken und Gemeinschaftsgeschmacksmuster nach einem Austritt des Vereinigten Königsreich aus der Europäischen Union nicht mehr im Vereinigten Königreich geschützt wären. Vermutlich wird es Unionsmarkeninhabern ermöglicht werden, ihre Unionsmarke in eine nationale Marke beim UKIPO umzuwandeln, im Idealfall unter Wahrung der Priorität der Unionsmarke. Hierfür spricht sich in einer ersten Stellungnahme auch die ITMA aus. Gleiches könnte auch für eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster gelten.
Was die Rechtsdurchsetzung betrifft, werden insbesondere gemeinschaftsweite Klagen bzw. Verfügungen nicht länger das Vereinigte Königreich mitumfassen. Vielmehr muss der Inhaber einer Gemeinschaftsmarke oder eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters zwei Verfahren anstrengen, um die gesamte Europäische Union einschließlich des Vereinigten Königreichs abzudecken. Dies gilt auch für bereits bestehende Titel. Um diese aufrechtzuerhalten, müsste nach dem Austritt des Vereinigten Königreiches ein weiteres Verfahren eingeleitet werden, um eine Marken-/Geschmacksmusterverletzung in Großbritannien ab dem Austritt zu verhindern.
Auch ein EU-weiter Grenzbeschlagnahmeantrag wird nach Austritt nicht mehr in Großbritannien wirken; hier ist ggf. ein nationaler Antrag zu stellen.
Handlungsempfehlung
Es bleibt abzuwarten, wie der Austritt der Briten final geregelt wird. Wer sicher gehen will, sollte in Erwägung ziehen, parallel zu Unionsmarken auch nationale Marken in Großbritannien anzumelden.
Das Sortenschutzrecht ist das spezielle Gewerbliche Schutzrecht für Pflanzensorten. Es enthält im Vergleich zum Patentschutz insbesondere spezielle Regelungen, die es Züchtern ermöglichen, mit den geschützten Pflanzensorten Dritter nicht nur Forschung zu betreiben, sondern im Falle der Züchtung einer neuen Sorte diese selbst schützen zu lassen und zu vertreiben.
Auch das System des Sortenschutzrechts sieht – wie das Markenrecht – einen nationalen Schutz durch das deutsche Sortenschutzgesetz sowie einen EU-weiten Schutz durch das Gemeinschaftssortenrecht vor. Registrierungen von Gemeinschaftssorten erfolgen beim Gemeinschaftlichen Sortenamt in Angers, Frankreich.
Ein Brexit hätte damit in dem Fall, in dem es keine Übergangsregelungen gibt, jedenfalls die direkte Auswirkung, dass für den Bereich des Vereinigten Königreichs kein Schutz mehr durch die Gemeinschaftssorte existiert.
Hieraus ergeben sich folgende Schlussfolgerungen:
Auch der Vertrieb von Saatgut, der zur Zeit auf Basis von solchen saatgutverkehrsrechtlichen Bestimmungen vorgenommen wird, die eine Anerkennung von Saatgut für in anderen Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) zugelassenen Sorten vorsehen (§ 55 Abs. 2 SaatG), dürfte im Falle eines Brexit neu zu überdenken sein. So wäre eine saatgutverkehrsrechtliche Zulassung einer Sorte im Vereinigten Königreich für eine Anerkennung von Saatgut für den deutschen Markt nur dann noch ausreichend, wenn das Vereinigte Königreich Mitglied der EFTA wird und so weiterhin dem EWR zuzurechnen ist.
In Bezug auf Lizenzvereinbarungen ist zu berücksichtigen, dass sich im Falle eines Brexit die territoriale Ausdehnung der eingeräumten Lizenz verkleinern könnte, wenn diese bislang für die EU erteilt wurde, in der auch das Vereinigte Königreich ein Mitglied ist.
Für neue Lizenzvereinbarungen kann daher an die Aufnahme von Klauseln gedacht werden, die für den Fall des Brexit bereits jetzt Regelungen treffen. So kann beispielsweise ein Sonderkündigungsrecht vereinbart werden, um Schadensersatzforderungen abzuwenden.
Klaus von Gierke | Sophie Ahrens von Bismarck |
Direkte Auswirkungen auf bereits abgeschlossene Verträge ergeben sich zum jetzigen Zeitpunkt in aller Regel nicht.
Allerdings empfiehlt es sich, bereits geschlossene sowie insbesondere in Zukunft abzuschließende Verträge zwischen Partnern mit Sitz in der EU oder dem EWR einerseits und solchen, die ihren Sitz im Vereinigten Königreich haben, andererseits bereits jetzt kritisch im Hinblick darauf zu prüfen, ob der Vertrag (i) eine zeitliche Überschneidung mit einem eventuellen Brexit haben könnte, und – wenn ja – ob er (ii) Klauseln enthält, die im Falle eines Brexit unzureichend, ergänzungsbedürftig oder wirkungslos werden könnten. Zum derzeitigen Zeitpunkt ist es insbesondere aufgrund der noch nicht begonnenen Austrittsverhandlungen und hierfür dann zu findenden Regelungen und Abkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich schwierig, hier eine abschließende Prognose zu geben.
Als Faustregel kann jedoch gelten, dass sämtliche Verträge, die derzeit auf dem Prinzip des freien Warenverkehrs oder auch der Niederlassungsfreiheit innerhalb der EU bzw. des EWR basieren, überprüft werden sollten.
Einige Problembereiche zeichnen sich bereits ab, zum Beispiel:
Zu weiteren Aspekten, die das Vertragsrecht betreffen, finden Sie Ausführungen auch unter M&A sowie Prozessführung und Konfliktlösung.
Als problematisch könnte sich im Rahmen des Brexit zudem herausstellen, dass in Deutschland mittlerweile zahlreiche Gesellschaften in der Organisationsform einer englischen Limited mit Sitz in Deutschland (oder anderen EU-Mitgliedsstaaten) im Markt aktiv sind. Die Nutzung einer derartigen Rechtsform auch innerhalb Deutschlands ist bislang unproblematisch möglich.
Die Folgen eines Brexit für die Limited mit Sitz in Deutschland wären gravierend – ein Verlust der Eigenschaft als Kapitalgesellschaft und damit auch der Haftungsbeschränkung wäre wahrscheinlich.
Der BGH wendet in seiner ständigen Rechtsprechung die sog. „Sitztheorie“ auf Gesellschaften an, die nach dem Recht von Staaten gegründet wurden, die nicht zur EU gehören. Danach ist auf eine Gesellschaft das Recht desjenigen Staates anwendbar, in dem sie ihren Verwaltungssitz hat. Nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU würde dies aller Voraussicht nach auch für die Limited mit Sitz in Deutschland gelten. Hierdurch würde sie – mangels in der EU anerkannter Rechtsform der englischen Limited – ihre Eigenschaft als Kapitalgesellschaft verlieren, weil sie nicht zugleich die Gründungsvoraussetzungen erfüllt, die das deutsche Recht für einen Verein, eine GmbH oder AG vorsieht. Die Voraussetzungen einer GbR bzw. OHG (Zusammenschluss mehrerer Personen zur Förderung eines gemeinsamen Zwecks (GbR), bei wirtschaftlicher Betätigung als OHG) wären allerdings erfüllt, so dass sie jedenfalls weiterhin als rechts- und parteifähige Gesellschaft anerkannt werden würde. Die Haftungs- und steuerrechtlichen Konsequenzen müssten im Einzelfall überprüft werden.
Maxim Kleine | Tim Schaper |
Bis zu einem tatsächlichen Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU ändert sich im Kartellrecht formell nichts.
Unternehmen mit unternehmerischen Aktivitäten im Vereinigten Königreich (on the ground oder als Importeur) sollten allerdings frühzeitig bei Planungen von Transaktionen und zur Sicherstellung kartellrechtlicher Compliance folgende Aspekte berücksichtigen:
Die Europäische Fusionskontrollverordnung (FKVO) findet nach einem Austritt des Vereinigten Königreichs keine Anwendung mehr.
Dies bedeutet das Ende des so genannten One stop shop-Prinzips, d.h. Zusammenschlussvorhaben, deren Überprüfung sowohl in die Zuständigkeit der Kommission als auch der britischen Wettbewerbsbehörde (Competition and Markets Authority, CMA) fallen, erfordern eine Mehrfachanmeldung. Die Möglichkeit, gemäß Art. 4, 9 und 22 FKVO zwischen den Behörden Verweisungen vorzunehmen, entfällt.
Ob das Vereinigte Königreich sich entschließt, sich auch nach einem Austritt – z.B. durch ein völkerrechtliches Abkommen entsprechend dem EWR-Abkommen – der Entscheidungskompetenz der Europäischen Kommission im Bereich der Fusionskontrolle zu unterwerfen, bleibt abzuwarten.
Ob bereits erfolgte fusionskontrollrechtliche Freigaben der Europäischen Kommission im Vereinigten Königreich nach einem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union noch Wirkung entfalten oder die CMA dann zu jeder Zeit Entflechtungsverfahren einleiten kann, bleibt ebenfalls abzuwarten, erscheint indes grundsätzlich möglich. Daher sollte bei Fusionskontrollverfahren mit einer materiellen Komponente im Vereinigten Königreich dieses nachlaufende Risiko ab sofort zumindest aufmerksam berücksichtigt werden.
Auch das EU-rechtliche Kartellverbot und das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung, Art. 101 und 102 AEUV, findet nach einem Austritt des Vereinigten Königreichs keine Anwendung mehr.
Gleiches gilt für Verordnungen, wie z.B. Gruppenfreistellungsverordnung (u.a. Vertikal-, Technologietransfer-, F&E-, Spezialisierung). Dies hat zur Folge, dass z.B. für Wettbewerbsbeschränkungen, die in den Anwendungsbereich dieser Verordnungen fallen, eine Freistellung vom Kartellverbot nicht mehr auf Basis des EU-Kartellrechts vermutet wird (Wegfall des Safe harbour-Prinzips). Allein maßgeblich für die Beurteilung ein- oder mehrseitiger wettbewerbsbeschränkender Verhaltensweisen mit rein nationalem Bezug, d.h. ohne Bezug (Zweck oder Wirkung) zur Europäischen Union, bleibt das Kartellrecht des Vereinigten Königreichs, dessen Einhaltung sicherzustellen ist.
Ähnliches gilt für Richtlinien mit kartellrechtlichem Inhalt (z. B. Schadensersatzrichtlinie), Leitlinien (z.B. Horizontalleitlinien) sowie Mitteilungen der Europäischen Kommission, die vor dem Hintergrund des Effet utile-Grundsatzes jedenfalls bei EU-grenzüberschreitenden Sachverhalten ein hilfreiches Koordinatensystem für die kartellrechtliche Grenzziehung zwischen Do‘s und Don‘ts bieten. Auch diese – zwar unverbindlichen – Rechtsakte, verlieren ihre formelle Geltung bei kartellrechtlichen Sachverhalten, die ausschließlich das Vereinigte Königreich betreffen.
Ein Austritt des Vereinigten Königreichs hat ferner kartellverfahrensrechtliche Aspekte:
Das Vereinigte Königreich verliert seine Mitgliedschaft im European Competition Network (ECN). Es ist nicht auszuschließen, dass es hierdurch – mangels Zuteilung von Verfahren an die „besser geeignete“ Behörde – künftig (nach einem Austritt) vermehrt zu parallelen kartellrechtlichen Ermittlungen kommt.
Klaus von Gierke |
Direkte Auswirkungen auf bereits abgeschlossene M&A-Transaktionen dürften sich zum jetzigen Zeitpunkt in aller Regel nicht ergeben.
Bei Fehlen einer ausdrücklichen Rechtswahlklausel könnte sich in Zukunft – nach einem erfolgten Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU – allerdings die Frage nach dem auf die Vereinbarung anwendbaren Recht stellen, da die bisher anwendbare Verordnung Nr. 593/2008 (EG) („Rom I“) über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht dann im Verhältnis zu einer britischen Vertragspartei keine Gültigkeit mehr beanspruchen dürfte.
In besonderen Einzelfällen kann sich auch die Frage nach der Anwendbarkeit einer – vertraglichen – MAC-Klausel (MAC = material adverse change) oder – unabhängig von einer vertraglichen Vereinbarung, bereits aufgrund gesetzlicher Bestimmungen – gar nach einer Anpassung oder gar dem Wegfall der Geschäftsgrundlage stellen.
Beiden Themenbereichen wird allerdings zum jetzigen Zeitpunkt keine entscheidende Bedeutung zukommen, solange das Vereinigte Königreich noch Mitglied der EU ist und soweit das Referendum – und auch das Austrittsgesuch, wenn es denn gestellt sein wird – noch keine spezifischen und konkreten Auswirkungen auf die Geschäftstätigkeit von Unternehmen entfalten.
Gleiches gilt im Prinzip im Hinblick auf abgeschlossene, aber noch nicht vollständig abgewickelte Transaktionen.
Je länger die Zeit ist, die bis zur vollständigen Abwicklung der Transaktion ins Land geht, desto wahrscheinlicher mag es – abhängig vom weiteren Verlauf der Austrittsverhandlungen – allerdings werden, dass sich die eine oder andere Partei im Einzelfall auf die Anwendbarkeit einer MAC-Klausel oder das Erfordernis einer Anpassung der Geschäftsgrundlage oder gar einen Wegfall der Geschäftsgrundlage beruft.
Die möglichen Auswirkungen auf künftige Transaktionen lassen sich heute noch nicht abschätzen.
Offensichtlich ist, dass man in Zukunft noch weniger als bisher auf eine ausdrückliche Rechtswahlklausel verzichten sollte.
Auch kann es sich im Einzelfall empfehlen, in einem gesonderten Vertragsabschnitt die gemeinsamen Vorstellungen der Parteien – und gegebenenfalls auch die einseitigen Erwartungen der jeweiligen Parteien – ausdrücklich auszuformulieren, um auf diese Weise Meinungsverschiedenheiten über etwaige vertragliche Anpassungserfordernisse nach Möglichkeit zu minimieren.
Weiterhin kommt aus Sicht deutscher Vertragsparteien der Benennung eines inländischen Zustellungsbevollmächtigten zukünftig eine erhöhte Bedeutung zu. Da die Europäische Zustellungsverordnung 1393/2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke mit einem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU im Vereinigten Königreich ihre Gültigkeit verlieren würde, wäre eine andernfalls erforderliche Zustellung im Vereinigten Königreich mit erheblich höherem Zeit- und Geldaufwand verbunden, als dies bisher der Fall ist.
Auswirkungen speziell auf börsennotierte Unternehmen sind zum jetzigen Zeitpunkt nicht ersichtlich.
Die EU-Übernahmerichtlinie ist ganz maßgeblich nach dem Vorbild des britischen Übernahmekodex (City Code on takeovers and mergers) entworfen worden. Wesentliche Rechtsänderungen sind insoweit also weder zum jetzigen Zeitpunkt noch nach einem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU zu erwarten.
Axel Boës |
Die Zuständigkeit von Gerichten für zivil- und handelsrechtliche Streitigkeiten sowie die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung ist auf europäischer Ebene durch die Verordnung 1215/2012 (EuGVVO) einheitlich geregelt. Daneben gilt die Europäische Zustellungsverordnung 1393/2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke (EuZStVO). Im Falle eines Brexit würden diese Verordnungen im Vereinigten Königreich ihre Gültigkeit verlieren. Da insbesondere die EuGVVO auf dem Gebiet der Zuständigkeit und insbesondere der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen weitreichende Regelungen trifft, wären die Auswirkungen gravierend:
Nach der EuGVVO besteht ein einheitliches System der gerichtlichen Zuständigkeiten, insbesondere werden Gerichtsstandsvereinbarungen anerkannt. Auf diese Weise kann der Gerichtsstand vorab vereinbart und das Verfahren damit vorhersehbar und planbar gestaltet werden, insbesondere durch Vermeidung eines oft mit hohem Aufwand und hohen Kosten verbundenen Verfahrens im Vereinigten Königreich. Die Schwierigkeiten einer Klagzustellung im Ausland werden durch die europäischen Zustellregeln der Verordnung 1393/2007 im Vergleich zu Drittstaaten stark vereinfacht, sodass eine Klagzustellung in Großbritannien bei entsprechender Vorbereitung nur einige Wochen (im Gegensatz zu einigen Monaten bei Nicht-EU Staaten) in Anspruch nimmt. Eine derart vereinfachte Zustellung wäre nach einem Brexit nicht mehr möglich.
Im Rahmen der EuGVVO werden europäische Urteile grundsätzlich ohne weitere gerichtliche Entscheidung im EU-Ausland anerkannt und können wie im Ursprungsstaat vollstreckt werden. Hierfür ist vom Ursprungsgericht lediglich ein Formblatt auszufüllen. Dies stellt im Vergleich zu Drittstaaten eine erhebliche Erleichterung dar; bei Dritt (Nicht-EU) Staaten muss das ausländische Urteile mit einem sogenannten „Exequatur“ versehen werden. In diesem Verfahren wird das ursprüngliche Urteil zwar nicht inhaltlich nachgeprüft, es müssen aber gegebenenfalls Formalien wie die ordnungsgemäße Zustellung der Klage oder die Möglichkeit vor Gericht aufzutreten noch einmal geprüft werden, und in der Regel kann der Vollstreckungsschuldner einwenden, dass das ausländische Gericht unzuständig war. Auch dies muss gegebenenfalls noch einmal überprüft werden und kann durch das Gericht im Vollstreckungsstaat durchaus anders gesehen werden als durch das Gericht im Ursprungsstaat der Entscheidung. Dies beträfe nach einem Brexit auch Urteile aus dem Vereinigten Königreich, die in der EU anerkannt werden sollen. Nach welchen Verfahren Urteile aus EU-Mitgliedsstaaten im Vereinigten Königreich anerkannt werden, bliebe abzuwarten.
Das englische Recht kennt das Institut der „anti-suit injunction“. Dies ist ein Rechtsmittel, mit dem eine Partei der anderen Partei verbieten kann, eine Klage an einem anderen Gerichtsstand als im Vereinigten Königreich einzureichen. Im Rahmen der EuGVVO wurde die „anti-suit injunction“ als dem europäischen Zuständigkeitssystem zuwiderlaufend für unanwendbar erklärt. Mit einem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU könnte dieses Rechtsinstitut wieder an Bedeutung gewinnen und Parteien vor ein englisches Gericht zwingen.
Mit einem Brexit fallen auch sämtliche sonstigen Erleichterungen des europäischen Zivilrechts weg, solange keine neue Vereinbarung geschlossen wird. Da die Unabhängigkeit der Justiz von der Rechtsprechung des EuGH ein zentraler Punkt der Brexit-Kampagne war, ist hier kaum mit einer schnellen Einigung zu rechnen.
Schiedsverfahren sind vom EU-Recht nicht geregelt. Die Durchführung von Schiedsverfahren richtet sich nach der vereinbarten Verfahrensordnung (ICC, LCIA, DIS etc.) oder – soweit eine Verfahrensordnung nicht vereinbart ist oder relevante Fragen nicht regelt – nach dem nationalen Recht des Schiedsorts (Arbitration Act im Vereinigten Königreich, ZPO in Deutschland). Die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen richtet sich nach der New Yorker Konvention von 1958. Sowohl das Vereinigte Königreich als auch alle weiteren EU-Staaten sind Mitglieder dieser Konvention; insoweit ist nicht zu erwarten, dass ein Brexit Auswirkungen auf laufende oder zukünftige Verfahren hat.
Im Bereich des Investitionsschutzrechts ist das Vereinigte Königreich Mitglied der ICSID Convention (International Centre for Settlement of Investment Disputes). Im Verhältnis zu europäischen Staaten wird die Zuständigkeit des ICSID teilweise vom europäischem Recht überlagert, mit einem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU würde die Bedeutung des ICSID potentiell zunehmen.
Soweit ein Brexit dazu führt, dass die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen staatlicher Gerichte, die bisher auf Grundlage des EU-Rechts in einem vereinfachten Verfahren erfolgt, wesentlich erschwert wird, könnte dies die Attraktivität von Schiedsverfahren im gegenseitigen Rechtsverkehr erhöhen.
Alexander von Reuss |
Die wesentlichen Änderungen aus steuerlicher Sicht können sich insbesondere in den Bereichen der indirekten Steuern, und dem Wegfall der Anwendbarkeit verschiedener EU-Richtlinien zur Besteuerung ergeben. Daneben kann es allerdings auch direkte Auswirkungen auf das deutsche Steuerrecht geben.
Der EU-Austritt würde grundsätzlich auch den Austritt aus der Zollunion bedeuten, so dass sowohl von der EU als auch durch Großbritannien Zölle auf den Warenverkehr erhoben werden könnten.
Es wäre jedoch auch möglich, dass das Vereinigte Königreich neben Norwegen, Island und Liechtenstein Vertragsstaat des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) wird oder ein Freihandelsabkommen mit der EU schließt.
Das Umsatzsteuerrecht wird seit vielen Jahren auf EU-Ebene harmonisiert. Mit dem Austritt aus der EU würde das Vereinigte Königreich grundsätzlich auch Drittland für Zwecke der Umsatzsteuer. Das heißt, das Vereinigte Königreich könnte seine Regeln zur Umsatzsteuer ändern oder diese völlig abschaffen, da es an die EU-Vorgaben nicht mehr gebunden wäre. Insbesondere wären britische Behörden und Gerichte in der Auslegung der entsprechenden Vorschriften nicht mehr an europäisches Recht gebunden. Eine völlige Abschaffung der Umsatzsteuer ist angesichts eines Anteils von 17% am Gesamtsteueraufkommen im Vereinigten Königreich allerdings unwahrscheinlich.
Obwohl direkte Steuern grundsätzlich auch innerhalb der EU der Souveränität der Mitgliedstaaten unterliegen, gibt es in diesem Bereich diverse Richtlinien, die im Falle eines EU-Austritts Großbritanniens nicht mehr anwendbar wären:
Auch im deutschen Steuerecht könnten sich Auswirkungen aus dem Brexit ergeben.
Beispielsweise entfiele im Bereich der Einkommensteuer die fiktive unbeschränkte Steuerpflicht für EU-Bürger auf Antrag, wodurch vor allem bestimmte familienbezogene Begünstigungen wegfallen würden.
Weiterhin gilt für bestimmte negative Einkünfte aus Drittstaaten eine Verlustausgleichs- und -abzugsbeschränkung die dann auch im Hinblick auf das Vereinigte Königreich gelten würden.
Auch für ertragsteuerliche Organschaften könnten sich Änderungen ergeben. Eine entsprechende Ergebniskonsolidierung ist nämlich nur mit Tochterkapitalgesellschaften mit Sitz in EU- oder EWR-Staaten möglich.
Teilweise könnte der Brexit sogar die Besteuerung erst auslösen.
Michael Jürgen Werner |
Das Europäische Zollrecht ist zentraler Bestandteil des EU-Rechts. Mit der Verwirklichung des Binnenmarktes basiert das Zollrecht in den Mitgliedstaaten der EU nicht mehr auf nationalen Normen, sondern auf dem zum 01.01.1994 in Gänze in Kraft getretenen Zollkodex einschließlich der entsprechenden Durchführungsverordnung. Dabei handelt es sich um ein weitgehend in sich geschlossenes System für den EU-Außenhandel. Grundlage ist dabei nach Art. 28 AEUV die Schaffung einer Zollunion, also insbesondere das Verbot, den Mitgliedstaaten Zölle und Abgaben gleicher Wirkung zu erheben, sowie die Einführung eines gemeinsamen Zolltarifs gegenüber Drittländern.
Mit einem Ausscheiden aus der EU ist das Vereinigte Königreich nicht mehr an das einheitliche EU-Zollsystem gebunden.
Das Vereinigte Königreich ist dann berechtigt und verpflichtet, sich selbst nationale Zollvorschriften zu geben. Damit hat das Vereinigte Königreich dann ebenfalls (erneut) die Möglichkeit, Zölle gegenüber den EU-Mitgliedstaaten zu erheben. Andererseits wird spätestens in diesem Moment das Vereinigte Königreich – aus Sicht der EU – zollrechtlich ein Drittstaat und könnte – vorausgesetzt, es gibt keine anderslautende Regelung – von Zöllen durch die EU betroffen sein. Im Übrigen entfallen dann auf Einfuhren aus dem Vereinigten Königreich alle zollrechtlichen administrativen Vereinfachungen, die durch den EU-Zollkodex geschaffen werden. Letztlich wird das Vereinigte Königreich damit rechtlich die Position eines an der WTO partizipierenden Staats haben.
Das Außenwirtschaftsrecht ist in vielfältiger Hinsicht ebenfalls zentral durch das EU-Recht geprägt.
So gelten zum Beispiel mit der EG-Dual-use-VO einheitliche Vorschriften für die Ausfuhr von Dual-use-Gütern in allen EU-Mitgliedstaaten. Im Übrigen enthält ein Verhaltenskodex der EU-Vorgaben zur Beachtung einheitlicher Genehmigungskriterien bei Waffenausfuhren. Darüber hinaus regeln Embargo-Verordnungen der EU-Verbote für verschiedene Geschäftsaktivitäten.
Neben den EU-rechtlichen Vorschriften finden aber auch Normen aus internationalen Verträgen sowie nationale Regelungen Anwendung, d.h. anders als im Zollrecht besteht hier ein „gemischtes“ Regime. Angesichts dieses Umstands wird das Vereinigte Königreich im Falle eines Austritts aus der EU in die Lage versetzt, sich von den EU-rechtlichen Vorgaben (Dual use, etc.) zu „befreien“ und eigene nationale Regelungen zu den gegebenen exportkontrollrechtlichen Vorgaben zu finden. Im Hinblick auf den Handel mit EU-Mitgliedstaaten müssen jedoch Exporteure mit Sitz im Vereinigten Königreich auch weiterhin das EU-Außenwirtschaftsrecht beachten, wollen sie weiterhin eine Geschäftsbeziehung mit EU-Inländern beibehalten. Ebenso haben sich EU-Inländer in Zukunft verstärkt an den nationalen Vorgaben des Vereinigten Königreichs zu orientieren.
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Publikation
In this edition, we focused on the Shanghai International Economic and Trade Arbitration Commission’s (SHIAC) new arbitration rules, which take effect January 1, 2024.
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