Im Rahmen des European Green Deal und seiner Umsetzung hat sich die EU festgelegt, die Nettotreibhausgasemissionen innerhalb der Union bis zum Jahr 2030 um mindestens 55% gegenüber 1990 zu verringern. Dieser Kraftakt ist nicht durch staatliche Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten allein zu bewältigen, sondern erfordert eine Anpassung in den Geschäftsmodellen der meisten, innerhalb der EU tätigen Unternehmen. Dem trägt die europäische und deutsche Gesetzgebung konsequent Rechnung, so dass ESG-Ziele insbesondere in den Bereichen Umwelt- und Klimaschutz aus Sicht der Leitungsorgane nicht mehr nur Teil guter Governance und gebotener regulatorischer Compliance sind, sondern zunehmend auch zum festen Bestandteil der Unternehmensstrategie werden. Die damit verbundenen Transformationsprozesse hin zu einem nachhaltige(re)n Geschäftsmodell haben unmittelbare Auswirkungen auf die M&A-Praxis und lassen zukünftig eine gesteigerte Dealaktivität erwarten.
ESG als Teil der Corporate Strategy
1) CSRD
Die infolge der Umsetzung der europäischen Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) zu veröffentlichenden Nachhaltigkeitsberichte der Unternehmen werden deutlich umfänglicher und müssen zukünftig beispielsweise auch Informationen enthalten zu:
- Nachhaltigkeitspolitik,
- Nachhaltigkeitszielen und Fortschritten im Hinblick auf die Zielerreichung,
- Widerstandsfähigkeit gegenüber Nachhaltigkeitsrisiken,
- Geschäftsmodell und Unternehmensstrategie sowie deren Umsetzung, insbesondere mit Blick auf die gebotene Verringerung von Treibhausgasemissionen und die Vereinbarkeit mit dem 1,5 Grad-Ziel.
Die ordnungsgemäße Erfüllung der neuen Berichtspflichten setzt zunächst eine vertiefte inhaltliche Auseinandersetzung mit den vorgenannten Kriterien auf Ebene der verschiedenen Leitungsorgane voraus. Diese Auseinandersetzung ist umfänglich zu dokumentieren, damit sie Gegenstand der Prüfung durch den Abschlussprüfer sein kann. Entsprechend der doppelten Wesentlichkeit muss sie sowohl die Auswirkungen von Nachhaltigkeitsaspekten auf das Unternehmen und sein Geschäftsmodell (outside-in), als auch die Folgen der geschäftlichen Aktivitäten des Unternehmens für die Umwelt (inside-out) jeweils getrennt voneinander erfassen. Insbesondere mit Blick auf den Klimawandel und seine Bekämpfung wirft die doppelte Wesentlichkeit zwei Fragen auf:
- Wie ist das Unternehmen mit seinem Geschäftsmodell durch den zunehmenden Klimawandel einerseits und die aus seiner Bekämpfung folgende Gesetzgebung andererseits betroffen, und
- Wie trägt das Unternehmen mit seinem Geschäftsmodell zum Klimawandel bei?
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Entwicklung einer Nachhaltigkeitsstrategie und die Festsetzung von Nachhaltigkeitszielen von zentraler Bedeutung für den erfolgreichen Fortbestand eines Unternehmens ist. Mithin muss sich die Geschäftsleitung (Vorstand bzw. Geschäftsführung) selbst mit diesen Themen detailliert auseinandersetzen und über die Ergebnisse dann entsprechend berichten. Dem Aufsichtsrat obliegt auch insoweit die Überwachung des Vorstands.
2) CSDDD-E
Die vorgenannte Entwicklung wird durch den Entwurf der europäischen Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) noch verstärkt und mithin beschleunigt. Diese definiert in Art. 25 eine unmittelbare Verhaltenspflicht der Leitungsorgane für die Ausübung ihres jeweiligen unternehmerischen Ermessens bei der Unternehmensführung. Demgemäß haben Geschäftsführung, Vorstand und Aufsichtsrat bei Ausübung ihrer jeweiligen Pflicht, im besten Interesse des Unternehmens zu handeln, stets auch die kurz-, mittel- und langfristigen Folgen der spezifischen Entscheidung für Nachhaltigkeitsaspekte zu berücksichtigen.
Auch wenn gegenwärtig noch unklar ist, ob und in welcher Form Art. 25 CSDDD Rechtskraft erlangen wird, ist die Zielrichtung vorgegeben. Die Nachhaltigkeit wird somit in nächster Zeit zu einem unmittelbaren und durchaus wesentlichen Faktor der Unternehmensführung. Dies umfasst alle ihre relevanten Bereiche, also Environment, Social und Governance.
ESG als Deal Treiber im M&A
Bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind ESG-Kriterien sowohl bei der Eigenkapitalfinanzierung (bspw. im Rahmen von Art. 8 und 9 Investments oder impact investing), als auch bei der Fremdfinanzierung (z. B. durch Green Bonds, ESG-linked Schuldscheine, etc.) von Unternehmen von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung und sind von den Leitungsorganen bei der Entscheidungsfindung über die beabsichtigte Unternehmensfinanzierung entsprechend zu berücksichtigen. Zumindest mittelbar beeinflussen sie damit auch die Investitions- und Desinvestitionsentscheidungen der Leitungsorgane.
Exemplarisch zeigt sich dies in der Energiewirtschaft und den energieintensiven Industrien. Investments in der europäischen Öl-, Gas- und Kohleindustrie werden zurückgefahren. Sofern in diesen Sektoren zugekauft wird, handelt es sich um opportunistische Käufer, die bewusst versuchen, „stranded assets“ günstig einzusammeln und mit ihnen noch einige Jahre Geld zu verdienen. Langfristig orientierte und institutionelle Investoren sowie die großen Energieunternehmen setzen hingegen auf erneuerbare Energien, Batteriespeicher und Ladeinfrastruktur für Elektroautos. Die energieintensive Stahl- und Chemieindustrie setzen auf alternative Energieträger wie Wasserstoff und Co-Investments in Offshore-Windparks mit gleichzeitigem Abschluss von Power Purchase Agreements (PPA) zwecks Absicherung der zukünftigen grünen Energiezufuhr.
Im Rahmen der Umsetzung der regulatorischen Vorgaben von CSRD und CSDDD mit den genannten besonderen Auswirkungen auf die Unternehmensstrategie werden ESG-Kriterien zukünftig noch größeren und über unterschiedliche Branchen hinweg auch direkten Einfluss auf Investitionen und Desinvestitionen haben. Geradekapitalmarktorientierte Unternehmen, die ihren Stakeholdern schnelle Erfolge in Sachen Nachhaltigkeit vorweisen wollen, werden bei der Umsetzung ihrer um Nachhaltigkeit ergänzten Unternehmensstrategie verstärkt auf M&A Transaktionen setzen. Verkäuferseitig steht dabei unter ESG-Gesichtspunkten die Reduzierung des Risikoprofils im Vordergrund, während der Fokus der Käuferseite auf dem beabsichtigten Auf- und Ausbau eines nachhaltigen Geschäftsmodells liegt. Wie dargelegt, kommt dem Kampf gegen den Klimawandel dabei eine besondere Bedeutung zu, so dass ein vorrangiges Ziel von Kauf- und Verkaufstransaktionen die Verbesserung des Sustainability Footprints ist. Neben dem „E“ sind aber auch „S“ und „G“ nicht zu vernachlässigen. So kommt eine Stärkung der eigenen Governance ebenso in Betracht wie der strategische Rückzug aus geographischen Märkten, die eine Compliance mit den Vorgaben des Lieferkettensorgfalts-pflichtengesetz (LkSG) und zukünftig der CSDDD nicht gewährleisten können.
Neben der Frage der richtigen Umsetzung der Vorgaben der CSRD und einem kontinuierlichen Monitoring des Gesetzgebungsverfahrens der CSDDD sollte der Vorstand bzw. die Geschäftsführung im Sinne einer vorausschauenden Unternehmensführung das Potential einer unter Nachhaltigkeits-gesichtspunkten zielgerichteten M&A-Strategie im Einzelfall frühzeitig analysieren und bei positivem Ergebnis nicht zu lange mit der Umsetzung abwarten. Mit Blick auf etwaige Akquisitionen spricht dafür insbesondere der Umstand, dass sich der M&A-Markt derzeit abgeschwächt hat, so dass in vielen Branchen bessere Preise und für den Käufer günstigere Vertragsbedingungen erzielt werden können als noch vor einigen Jahren. Aufgrund der vorgezeichneten kurz- und mittelfristigen Entwicklung in Sachen Nachhaltigkeit ist es aber auch geboten, frühzeitig den richtigen Zeitpunkt für einen Verkauf von Unternehmensteilen zu eruieren, die den Kriterien der Nachhaltigkeitsstrategie nicht mehr genügen. Es besteht keine Gewissheit, dass man dauerhaft Käufer findet, die bereit sind, stranded assets zu einem vertretbaren Preis zu erwerben. Zum Schutz der Organmitglieder vor einer persönlichen Haftung sind diese Analyse- und Entscheidungsprozesse sorgfältig zu dokumentieren.
ESG als relevanter Faktor bei der Umsetzung von M&A Transaktionen
Mit der zunehmenden strategischen Bedeutung einher geht der Bedeutungszuwachs von ESG-Kriterien bei der Umsetzung von M&A-Transaktionen. Dies gilt sowohl für die Due Diligence als auch für die Vertragsgestaltung.
1) Due Diligence
ESG ist als solches in der Due Diligence nicht völlig neu. So sind Themen wie beispielsweise Health, Safety & Environment (HSE) aber auch Compliance längst Bestandteil einer sorgfältigen Legal Due Diligence. Diese und andere Themenfelder sind nunmehr aber auch unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten zu prüfen, in der Analyse zu gewichten und im Due Diligence Report zwecks Behandlung im Unternehmenskaufvertrag entsprechend darzustellen. Im Hinblick auf eine mögliche Haftung der Zielgesellschaft sind neuerdings auch etwaige Green Washing Risiken zu untersuchen. Im Rahmen der Governance Due Diligence wird die Einhaltung von CSRD und CDDD zukünftig eine besondere Rolle spielen. Dazu zählen Fragen wie beispielsweise wie sind die Organisationsstrukturen und -abläufe, welche Daten werden für das CSRD Reporting gesammelt, wie werden sie erhoben und über welche Berichtswege werden sie an die relevanten Business Functions gemeldet, wie ist ESG bei den Mitarbeitern verankert, wie werden LkSG bzw. CDDD umgesetzt, gibt es auch hier ein entsprechendes Reporting und ausreichende Dokumentation?
Denn die Kehrseite des dargestellten Bedeutungszuwachses ist ein größerer Schadenseinschlag, wenn ESG-Risiken der Zielgesellschaft nicht rechtzeitig identifiziert werden und sich ihre Realisierung nach Vollzug der Akquisition negativ auf den Erwerber auswirkt, sei es, dass mangels Bewertungsabschlags ein zu hoher Kaufpreis gezahlt wurde, sei es dass sich das ESG-Rating verschlechtert und sich Refinanzierungskosten erhöhen, oder dass eine Non-Compliance der Zielgesellschaft erhebliche Geldbußen nach sich zieht.
Bei der Ausgestaltung der Due Diligence ist stets zu berücksichtigen, dass nachhaltigkeitsbezogene Risiken in hohem Maße unternehmensspezifisch sind und dass viele ESG-Kriterien und Nachhaltigkeits-Standards bislang eher allgemein gehalten und nicht sehr aussagekräftig sind. Je nach Einzelfall, Branche, internationaler Tätigkeit etc. ist mithin ein anderer Umfang und eine andere Tiefe der ESG Due Diligence erforderlich. Aufgrund des letztendlich holistischen Ansatzes von ESG ist daher die Verknüpfung der verschiedenen Workstreams aus Commercial, Financial, Tax, Technical, Environmental und Legal Due Diligence von entscheidender Bedeutung für die Durchführung einer effektiven und dabei kosteneffizienten Due Diligence. Je enger die Teams zusammenarbeiten, desto eher ist gewährleistet, dass Risiken frühzeitig identifiziert, kommerziell richtig bewertet und risikoadäquat in die Transaktionsdokumentation eingebracht werden. Insoweit bildet die sorgfältige Due Diligence stets die Grundlage für eine angemessene Risikoallokation im Kaufvertrag.
Mit Blick auf die jüngste Rechtsprechung des BGH ist der Verkäufer gehalten, sich selbst ebenfalls einen umfassenden Überblick über die ESG-Risiken der Zielgesellschaft zu verschaffen und den Käufer über diese angemessen aufzuklären. Anderenfalls droht eine gesetzliche Haftung wegen Verletzung der vorvertraglichen Aufklärungspflichten. Auch wenn eine Vendor Due Diligence mit Kosten verbunden ist, dient sie unmittelbar dem Haftungsschutz des Verkäufers und erhöht als fester Bestandteil eines strukturierten Verkaufsprozesses die Transaktionssicherheit zu seinen Gunsten.
2) Kaufvertrag
ESG-spezifische Risiken sind wie andere Risiken auch im Unternehmenskaufvertrag (SPA) je nach Art des Risikos zu adressieren. Sofern sie genau bepreist werden können und sich bereits realisiert haben, ist der Kaufpreis anzupassen. Wenn die Realisierung bzw. die genaue Schadenshöhe eines spezifischen Risikos noch unsicher ist, bedarf es einer entsprechenden Freistellung. Abstrakte Risiken sind typischerweise im Rahmen eines Garantiekatalogs abzusichern. Mit der gestiegenen und weiter steigenden Regelungsdichte werden auch die ESG-bezogenen Garantien in den SPAs immer umfänglicher.
So überrascht es nicht, dass diese in immer größerem Umfang auch mit einer W&I policy versichert werden können. Auch insoweit gilt aber der vorgenannte Hinweis auf die Bedeutung einer sorgfältigen Due Diligence. Denn die Bereitschaft der Versicherer, ESG-spezifische Risiken mit einer W&I policy abzudecken wird neben der Prämienhöhe maßgeblich dadurch bestimmt, dass der Käufer auch eine entsprechende ESG-bezogene Due Diligence durchgeführt hat. Aus Sicht des Verkäufers lässt sich der strukturierte Verkaufsprozess daher auf Basis der Vendor Due Diligence mit einer sog. stapled insurance weiter verbessern und die Durchführung der Transaktion beschleunigen.
Zusammenfassung
ESG spielt bereits zum jetzigen Zeitpunkt eine nicht unerhebliche Rolle in der M&A-Transaktion. Diese Bedeutung wird mit der Umsetzung von CSRD und CSDDD noch weiter zunehmen, da die Berücksichtigung von ESG-Kriterien immer stärker auch unmittelbarer Bestandteil der individuellen Unternehmensstrategie werden wird. Vorstand und Geschäftsführung sollten daher im Sinne einer vorausschauenden Unternehmensplanung nicht abwarten, sondern frühzeitig eruieren, ob eine M&A-Strategie auf Käufer- und/oder Verkäuferseite zu einer erfolgreichen Entwicklung und Umsetzung ihrer nachhaltigkeitsbezogenen Unternehmensstrategie beitragen kann.
Bei der Durchführung von M&A Transaktionen sind Prüfungsumfang und -tiefe der Due Diligence auf den jeweiligen Einzelfall abzustimmen, um der weiter steigenden Bedeutung von ESG entsprechend Rechnung zu tragen und den Käufer vor einem Schadenseinschlag nach Vollzug der Transaktion zu schützen. Dabei kommt der Verknüpfung der verschiedenen Due Diligence Workstreams unter Effizienz- und Effektivitätsgesichtspunkten eine besondere Bedeutung zu. Das im Rahmen der Due Diligence identifizierte ESG-Risikoprofil ist im Kaufvertrag adäquat zu adressieren und mit dem Verkäufer zu verhandeln. Dieser sollte sich seinerseits einen hinreichenden Überblick über das ESG-Risikoprofil der Zielgesellschaft verschaffen, um seine Haftungsrisiken im Rahmen der Transaktion angemessen reduzieren zu können.