Zusammenfassung
Mit seinem Urteil vom 23. Juli 2024 (II ZR 206/22) hat der Bundesgerichtshof die Grundlage für die Haftung eines Geschäftsführers für Neugläubigerschäden gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO geebnet, die erst nach seinem Ausscheiden aus dem Geschäftsführeramt entstanden sind.
Entscheidung des BGH
Wie der II. Zivilsenat in dem recht komplexen Sachverhalt entschied, besteht grundsätzlich eine Haftung ausgeschiedener Geschäftsführer gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 InsO auch für solche Schäden von Neugläubigern, die erst nach Beendigung der Organstellung in vertragliche Beziehungen zur Gesellschaft getreten sind, wenn die vom Geschäftsführer durch die Verletzung seiner Insolvenzantragspflicht geschaffene Gefahrenlage im Zeitpunkt der Schadensentstehung noch fortbesteht.
Der BGH stellte zwar einerseits klar, dass mit der Beendigung der Organstellung zwar die Organpflichten eines Geschäftsführers und damit auch die Insolvenzantragspflicht (§ 15a Abs. 1 InsO) - spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und sechs Wochen nach Eintritt der Überschuldung – ex nunc entfällt.
Demgegenüber hob er zugleich hervor, dass bereits begangene Antragspflichtverletzungen durch den Fortfall der Organstellung aber ebenso wenig rückwirkend beseitigt würden, wie die Verantwortung des (ehemaligen) Geschäftsführers für darauf zurückzuführende Verschleppungsschäden.
Damit hafte der Geschäftsführer grundsätzlich auch für Verschleppungsschäden von Neugläubigern, die erst nach der Beendigung seiner Organstellung Vertragspartner der Gesellschaft geworden sind, sofern die durch seine Antragspflichtverletzung geschaffene Gefahrenlage im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch fortbesteht und damit für den Verschleppungsschaden (mit)ursächlich geworden sei. In diesem Fall müsse sich der Geschäftsführer den entstandenen Schaden grundsätzlich noch als Folge seiner unterlassenen Antragstellung zurechnen lassen.
Dogmatisch begründet der BGH seine Rechtsauffassung damit, dass die Verletzung der Insolvenzantragspflicht durch einen Geschäftsführer auch nach Beendigung seiner Organstellung noch mitursächlich für anschließende Vertragsschlüsse der Gesellschaft mit Dritten im Sinne der Äquivalenztheorie sei, da es bei gebotener Antragstellung nicht mehr zu diesen Verträgen gekommen wäre.
Die den Vertragspartnern dadurch entstehenden Verschleppungsschäden seien auch adäquat noch durch die Pflichtverletzung des ausgeschiedenen Geschäftsführers verursacht, weil die Unterlassung der Antragstellung im Allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen geeignet sei, zu einer Fortführung der insolvenzreifen Gesellschaft durch den nachfolgenden Geschäftsführer und damit zu weiteren Vertragsschlüssen der Gesellschaft zu führen.
Wie der Senat weiter ausführt, diene das Verbot der Insolvenzverschleppung nicht nur der Erhaltung des Gesellschaftsvermögens, sondern habe auch den Zweck, insolvenzreife Gesellschaften mit beschränktem Haftungsfonds vom Geschäftsverkehr fernzuhalten und habe damit eine gläubigerschützende Funktion. Dieser Schutzzweck bestehe nach einer Verletzung der Antragspflicht durch einen Geschäftsführer auch nach Beendigung seiner Organstellung fort.
Solange die durch seine Antragspflichtverletzung geschaffene Gefahrenlage noch fortwirke, seien daher auch erst nach seinem Ausscheiden aus dem Amt geschlossene Verträge vom Schutzbereich der ihm während seiner Geschäftsführerstellung obliegenden Insolvenzantragspflicht umfasst.
Ausdrücklich tritt der BGH in diesem Zusammenhang einer Verantwortungs- und Haftungsverlagerung für die Vermeidung des Insolvenzverschleppungsschadens auf die nachfolgende Geschäftsleitung entgegen: Dass den neuen Geschäftsführer gegenüber Neugläubigern ebenfalls eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO wegen Verletzung der ihm ab seinem Amtsantritt obliegenden Antragspflicht treffen könne, lasse die Mitursächlichkeit der ursprünglichen Antragspflichtverletzung durch den ausgeschiedenen Geschäftsführer und den damit bei Fortbestehen der bereits dadurch geschaffenen Gefahrenlage bestehenden Zurechnungszusammenhang nicht entfallen.
Der bloße Wechsel in der Person des Geschäftsführers als solcher stelle daher explizit keine den Zurechnungszusammenhang unterbrechende Zäsur dar. Die Frage, ob einer der Geschäftsführer dem Schaden bei wertender Betrachtung näher stünde als der andere, sei nur für ihren Ausgleich im Innenverhältnis relevant.
Eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs komme danach nur in Betracht, wenn sich das durch die Pflichtverletzung des ausgeschiedenen Geschäftsführers geschaffene Risiko bei wertender Betrachtung bei Abschluss des zum Schaden des Neugläubigers führenden Vertrags nicht mehr auswirke. Dies sei insbesondere der Fall, wenn sich die Gesellschaft nach der Antragspflichtverletzung des ausgeschiedenen Geschäftsführers zunächst wieder nachhaltig erholt hatte und erst nach seinem Ausscheiden wieder insolvenzreif geworden war, weil in diesem Fall die durch seine Antragspflichtverletzung begründete Gefahrenlage bei Abschluss der späteren Verträge bereits wieder beendet war. In der Regel reiche dagegen allein der zeitliche Abstand zwischen der Beendigung der Organstellung des Geschäftsführers und dem schädigenden Vertragsschluss des Neugläubigers mit der Gesellschaft bei Fortbestehen der ursprünglich geschaffenen Gefahrenlage für eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs nicht aus.
Praktische Auswirkungen und Praxishinweise
Mit seiner Entscheidung verschärft der BGH die Haftung von Geschäftsleitern wegen Insolvenzverschleppung deutlich und stellt klar, dass diese nicht schon mit dem Ausscheiden aus der Organstellung zusammen mit den Organpflichten entfällt – und zwar unabhängig davon, ob das Ausscheiden auf einer Abberufung durch das zuständige Gesellschaftsorgan oder auf einer Amtsniederlegung beruht.
Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Insolvenzverschleppung um ein Dauerdelikt handelt, bei dem sich Geschäftsleiter nicht damit entlasten können, dass ihr Nachfolger die von ihnen bereits begangene Insolvenzantragspflichtverletzung nicht beseitigt hat, auch wenn diese ggf. zeitlich schon länger zurückliegt.
Vor diesem Hintergrund sind Geschäftsleiter zwingend gehalten, sich auch bei absehbarem Ausscheiden aus der Organstellung ihrer fortbestehenden Verpflichtung bewusst zu sein, die wirtschaftliche Lage des Unternehmens laufend zu beobachten, sich bei Anzeichen einer Krise durch Aufstellung eines Vermögensstatus einen Überblick über den Vermögensstand zu verschaffen – und gegebenenfalls fristgerecht Insolvenzantrag zu stellen.
Im konkreten Fall betrifft die Entscheidung den Geschäftsführer einer GmbH, sie dürfte allerdings rechtsformunabhängig gleichermaßen auch für andere Geschäftsleiter und insbesondere Vorstände von Aktiengesellschaften gelten, was die Entscheidung umso bedeutender macht.