ESG gelangt auch arbeitsrechtlich in den Fokus. Als zentrale ESG-Ausprägung wird insbesondere der soziale Nachhaltigkeitsstrang vom Arbeitsrecht und seinen Regelungen geprägt. In der Beratung werden die zunehmende Internationalisierung und Konkretisierung von ESG-Kriterien bedeutsamer.
EU-Vorgaben
Neue EU-Richtlinien „Corporate Social Responsibility Directive” (CSRD) und ESRS
Im November 2022 hat das EU-Parlament die Richtlinie über Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) verabschiedet. Im Januar 2023 trat die Richtlinie in Kraft. Sie sieht vor, dass Unternehmen darüber berichten müssen, wie sich Nachhaltigkeit auf ihr Geschäftsergebnis, ihre Lage und ihren Geschäftsverlauf sowie auf Menschen und Umwelt auswirkt.
Am 31. Juli 2023 veröffentlichte die Europäische Kommission die erste Vorlage der „European Sustainability Reporting Standards“ (ESRS), welche ab dem 1. Januar 2024 gelten. Die europäischen Nachhaltigkeitsberichterstattungsstandards definieren die konkreten Inhalte, welche von der „European Financial Reporting Advisory Group“ (EFRAG) im Auftrag der EU-Kommission erarbeitet werden. Im Grunde bedeutet das: Die CSRD regelt das „Ob“ der Berichterstattung und die ESRS das „Worüber“. Ziel ist es, die tatsächliche Nachhaltigkeit eines Unternehmens transparent zu machen.
Im arbeitsrechtlichen Kontext ist vor allem interessant, dass Unternehmen im Rahmen des CSRD über ihr Diversitätskonzept berichten und dabei konkrete Details über die Zusammensetzung ihres Managements nennen müssen. In den ESRS findet sich das Arbeitsrecht insbesondere in den sozialen Themenbereichen ESRS S1 und S2 wieder, welche eine Berichterstattung hinsichtlich der eigenen Belegschaft und der Arbeitskräfte in der Wertschöpfungskette erfordern. Dem Erwägungsgrund 49 der CSRD-Richtlinie folgend soll die Nachhaltigkeitsberichterstattung Arbeitsbedingungen, Gleichstellung sowie Auswirkungen des Unternehmens auf die menschliche Gesundheit und Menschenrechte (insbesondere in Bezug auf Zwangsarbeit) erfassen.
Inhaltlich ist das sog. „double materiality“-Prinzip (= Prinzip der doppelten Wesentlichkeit) von besonderer Bedeutung. Damit sollen einerseits die Wirkungen des Unternehmens auf das Umfeld und umgekehrt die Auswirkungen des Umfelds auf das Unternehmen berücksichtigt werden. Im Rahmen dieses Prinzips ist ein Nachhaltigkeitsthema ein wesentlicher und berichtspflichtiger Standard, wenn es
- sich auf erhebliche tatsächliche oder potenzielle Auswirkungen des Unternehmens auf Menschen oder auf die Gesellschaft bezieht (sog. „impact materiality“) oder
- kurz-, mittel- oder aber auch langfristig erhebliche finanzielle Auswirkungen auf das Unternehmen hat oder jedenfalls haben kann (sog. „financial materiality“).
Kommt ein Unternehmen zu dem Schluss, dass ein Standard nicht wesentlich oder berichtspflichtig ist, können dazu Angaben gemacht werden, müssen aber nicht. Dies gilt nicht für die allgemeinen Offenlegungspflichten des ESRS 2, hier ist keine Wesentlichkeitsbetrachtung zulässig.
Vergütungsstrukturen
1. Lieferkettengesetz verpflichtet Arbeitgeber zur angemessenen Entlohnung
Seit dem 1. Januar 2023 gilt das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG). Rechtsformunabhängig werden Unternehmen ab einer bestimmten Größe im Inland (1. Januar 2023: mehr als 3.000 Beschäftigte; 1. Januar 2024: mehr als 1.000 Beschäftigte) von dem Gesetz erfasst. Das LkSG bezweckt eine Verbesserung der internationalen Menschenrechtslage, indem es die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards entlang der gesamten Lieferkette vorschreibt. Es diktiert dabei keine abstrakt-generellen Handlungspflichten zur Einbeziehung von Nachhaltigkeitsbelangen, sondern berücksichtigt jene Belange, die sich aus den völkerrechtlichen Abkommen – gelistet in der Anlage – ergeben. Lieferkette im Sinne des § 2 Abs. 5 LkSG bezieht sich auf alle Produkte und Dienstleistungen eines Unternehmens und umfasst alle Schritte eines Unternehmens im In- und Ausland, die zur Herstellung des Produktes oder zur Erbringung der Dienstleistung erforderlich sind. Erfasst sind dabei das Handeln des Unternehmens im eigenen Geschäftsbereich sowie das Handeln unmittelbarer und mittelbarer Zulieferer.
Im Rahmen ihrer Sorgfaltspflichten müssen Unternehmen nach § 3 LkSG ein Risikomanagement einführen und eine regelmäßige Risikoanalyse betreiben, welche menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken vorbeugen soll. Daneben ist für Abhilfemaßnahmen und die Einrichtung eines internen Beschwerdesystems zu sorgen. Die Erfüllung der Sorgfaltspflichten müssen die Unternehmen dokumentieren.
Dies bedeutet für das Arbeitsrecht insbesondere: Unternehmen bzw. ihre Geschäftspartner in der Lieferkette müssen einen angemessenen Lohn zahlen, der mindestens dem jeweils geltenden gesetzlichen Mindestlohn am Beschäftigungsort entspricht. Ferner sieht das Lieferkettengesetz auch ein Gleichbehandlungsgebot vor. Insbesondere darf niemand aufgrund seines Geschlechts geringer bezahlt werden. Erfüllt das Unternehmen bzw. ihre Geschäftspartner in der Lieferkette die Anforderungen des LkSG nicht, kann dies als Ordnungswidrigkeit mit bis zu 500.000 Euro geahndet werden, § 24 Abs. 3 LkSG.
2. Börsennotierte Unternehmen müssen nachhaltig vergüten
Als ein zentrales Element des ESG wird die Implementierung nachhaltiger Vergütungssysteme für die Unternehmensleitung bewertet. Nach derzeitiger Rechtslage besteht auch bei börsennotierten Gesellschaften keine Verpflichtung, Umwelt- und Sozialaspekte in die variable Vergütung zu integrieren. Auch auf EU-Ebene wird keine Änderung der einschlägigen Aktionärsrechte-Richtlinie für notwendig erachtet. Soweit in § 87 Abs. 1 S. 2 AktG (ARUG II – Gesetz zur zweiten Aktionärsrichtlinie) die Vergütungsstruktur der Vorstandsmitglieder auf eine nachhaltige und langfristige Entwicklung der Gesellschaft auszurichten ist, wird Nachhaltigkeit in diesem Kontext derzeit als rein zeitliche Komponente betrachtet. Variable Vergütungsbestandteile müssen hiernach einer mehrjährigen Bemessungsgrundlage unterworfen werden.
Gleichwohl wird durch institutionelle Investoren zunehmend Druck auf die Unternehmen ausgeübt, Vergütungssysteme einzurichten, die auf eine stärkere Integration von Umwelt- und Sozialaspekten in die Geschäftsstrategie und operative Umsetzung abzielen. Darüber hinaus ist auch bei nicht börsennotierten Unternehmen zunehmend zu beobachten, dass sie Elemente ihrer ESG-Strategie auch in ihren Vergütungsregelungen abbilden.
Mitbestimmung
Bei ESG gestaltet der Betriebsrat mit.
Nachhaltige Unternehmenspolitik ist neben der unternehmerischen auch eine Frage der betrieblichen Mitbestimmung. Führt die geplante ESG-Strategie zu einer Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG, ist der Betriebsrat zu beteiligen. Eine Betriebsänderung liegt nach § 111 S. 1 BetrVG beispielsweise vor, wenn grundlegende Änderungen der Betriebsorganisation, des Betriebszwecks oder der Betriebsanlagen oder andere geplante Maßnahmen wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft erwarten lassen. Bei ESG-getriebenen Restrukturierungen kann eine solche Betriebsänderung in Betracht kommen, wenn zum Beispiel eine nachhaltigere Produktion hinsichtlich der Vermeidung von Abfällen oder CO2-Reduktion angestrebt wird.
Neben dem Mitbestimmungsrecht bei einer möglichen Betriebsänderung verfügt der Betriebsrat über weitere originäre Mitbestimmungsrechte, welche er bei der Umsetzung konkreter Maßnahmen geltend machen kann. Mit Blick auf ESG trifft den Betriebsrat beispielsweise die Aufgabe gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 9 i.V.m. § 89 BetrVG, Maßnahmen des Arbeitsschutzes und des betrieblichen Umweltschutzes zu fördern. Ferner hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht hinsichtlich nachhaltiger Vergütungssysteme und Maßnahmen zur Ausgestaltung von mobiler Arbeit nach § 87 Abs. 1 Nr. 10, 14 BetrVG. Ob bei der Implementierung von ESG-Konzepten diese oder weitere Beteiligungsrechte bestehen, sollte in jedem Einzelfall geprüft werden.