Die Europäische Union (EU) hat gegen Russland nach dessen Invasion der Ukraine sechs Sanktionspakete erlassen. Sie ergänzen die bestehenden Maßnahmen, die seit 2014 aufgrund der Annexion der Krim und der Nichtumsetzung der Minsker Vereinbarungen gegen Russland verhängt worden sind. Neben gezielten Maßnahmen gegen Einzelpersonen, enthalten die verhängten Maßnahmen auch Wirtschaftssanktionen, die teilweise massive Handelsbeschränkungen mit sich bringen und sich ggf. empfindlich auf die Geschäftsaktivitäten von europäischen Unternehmen auswirken können.
Welche Sanktionsmaßnahmen sind in den EU-Sanktionspaketen enthalten?
Die Sanktionsmaßnahmen, die in den verschiedenen Sanktionspaketen enthalten sind und sich in verschiedenen EU-Verordnungen wiederfinden, sind komplex und vielschichtig und lassen sich kaum vollumfänglich darstellen oder zusammenfassen.
Die EU hat eine Reihe von Beschränkungen erlassen, insbesondere ein Waffenembargo sowie Handelsbeschränkungen für Dual-Use-Güter und bestimmte Güter für die Ölindustrie. Ferner wurden umfassende Kapitalmarktbeschränkungen verfasst. Weitere Verschärfungen sehen u.a. Beschränkungen für die Ausfuhr ganz bestimmter Güter vor, die beispielsweise dazu beitragen könnten, dass Russland technologische Verbesserungen in seinem Verteidigungs- und Sicherheitssektor erzielt.
Aber auch für Güter der Luft- und Raumfahrt, für Eisen- und Stahlerzeugnisse, Luxusgüter, Kohle und feste fossile Brennstoffe und für Güter aus dem High- Tech-Bereich existieren mittlerweile einschneidende Beschränkungen. Es wurden restriktive Maßnahmen für russische Luftfahrtfahrzeuge erlassen (Start, Landung, Überflug), ebenso wie für Kraftverkehrsunternehmen, denen nun untersagt ist, in der EU Güter auf der Straße zu befördern. Schiffen, die unter Russischer Flagge segeln, wird der Zugang zu Häfen der Union verboten. Die jüngsten Sanktionsbestimmungen treffen insbesondere den Ölsektor und enthalten unter anderem ein vollständiges Verbot der Einfuhr von russischem Rohöl und Rohölerzeugnissen auf dem Seeweg, was in etwa 90% der derzeitigen Ölimporte aus Russland betrifft.
Darüber hinaus enthalten die EU-Sanktionsbestimmungen auch Handelsbeschränkungen, die sich produktunabhängig auf bestimmte natürliche juristische oder natürliche Personen beziehen. Im Zusammenhang mit ganz spezifischen gelisteten Personen oder Einheiten, den so genannten „Asset Freeze Targets“ gilt das so genannte Bereitstellungsverbot, das sämtliches Bereitstellen von Geldern oder finanziellen Ressourcen – unmittelbar oder mittelbar – gegenüber solchen Asset Freeze Targets verbietet. Darüber hinaus sind auch sämtliche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen solcher Asset Freeze Targets einzufrieren. Sowohl das Bereitstellungsverbot als auch das Einfriergebot beziehen sich auch auf juristischen Personen, Einrichtungen oder Organisationen die im Eigentum eines Asset Freeze Targets stehen oder von einem solchen kontrolliert werden. Auch die Liste der Asset Freeze Targets wird fortlaufend ausgeweitet. Derzeit umfasst die Liste der Asset Freeze Targets 1175 natürliche Personen und 101 Organisationen.
Auf wen finden die EU-Sanktionen gegen Russland Anwendung?
Die EU-Sanktionen finden grundsätzlich immer dann Anwendung, wenn ein Anknüpfungspunkt in die EU besteht, so dass die EU-Sanktionen gelten:
- im Gebiet der Union einschließlich ihres Luftraums;
- an Bord der Luftfahrzeuge und Schiffe, die der Hoheitsgewalt eines EU Mitgliedstaats unterstehen;
- für Personen, die die Staatsangehörigkeit eines EUMitgliedstaats besitzen, innerhalb und außerhalb des Gebiets der EU;
- für nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründete oder eingetragene juristische Personen, Einrichtungen oder Organisationen innerhalb und außerhalb des Gebiets der EU; und
- für juristische Personen, Einrichtungen oder Organisationen in Bezug auf Geschäfte, die ganz oder teilweise in der EU getätigt werden.
Bei vielen Geschäftsaktivitäten dürfte der Anwendungsbereich der EU Sanktionen bereits eröffnet sein, weil bei einer Vielzahl geschäftlicher Prozesse schon nicht auszuschließen sein dürfte, dass in diese Mitarbeiter eingebunden sind, die Staatsangehörige eines EUMitgliedstaates sind oder dass die Geschäfte zumindest teilweise innerhalb der Europäischen Union getätigt werden.
Welche Herausforderungen gelten für Unternehmen im Zusammenhang mit den Russland-Sanktionen?
Die größten Herausforderungen beim korrekten Umgang mit den Russland Sanktionen ergeben sich aus mehreren Umständen:
Zum Ersten sind die EU-Sanktionen gegen Russland allein von der thematischen Bandbreite sehr komplex (siehe schon oben), so dass es keinen Geschäftsbereich und keine Branche gegen dürfte, deren Geschäftsaktivitäten im Zusammenhang mit Russland keiner umfassenden Überprüfung bedürfen.
Zum Zweiten sind die Russland-Sanktionen nicht in einer einheitlichen EU Verordnung enthalten, sondern in verschiedenen Regelwerken, die jeweils im Zusammenspiel mit den jeweiligen Regelungen der einzelnen EUMitgliedstaaten auch mit verschiedenen Rechtsfolgen verknüpft sind.
Zum Dritten sind die EU Sanktionen gegen Russland fortlaufenden Änderungen unterworfen. Bis Juni 2022 wurden bereits sechs neue Sanktionspakete erlassen, so dass sich die betroffenen Unternehmen fortlaufend über die neusten Bestimmungen informieren und Ihre Geschäftsaktivitäten anpassen müssen. Darüber hinaus sind die neuen Regelungen – nicht zuletzt auch weil diese in aller Eile und Hast verabschiedet wurden – teilweise alles andere als eindeutig. Innerhalb der einzelnen EU-Sanktionsverordnungen selbst, aber auch im Zusammenspiel mit anderen Regelungswerken, ergeben sich häufig logische oder inhaltliche Unstimmigkeiten, die zu Unsicherheiten führen können, sowohl was die Reichweite als auch den sanktionierten Inhalt der einzelnen Bestimmungen anbelangt. Teilweise haben die EUBehörden und auch die nationalen Aufsichtsbehörden bereits auf diese Unstimmigkeiten und einzelne Fragen im Zusammenhang mit den Sanktionen reagiert und verschiedene Guidelines und Richtlinien erlassen, die den Umgang mit den Sanktionen erleichtern sollen. Diese Hilfestellungen sind jedoch keinesfalls vollständig und erfassen allenfalls am häufigsten gestellten Fragen und Problemkonstellationen. Erschwerend kommt zu diesem Umstand noch hinzu, dass selbst erfahrene Praktiker – und sogar die zuständigen Aufsichtsbehörden selbst – keine Expertise im Umgang mit denen neuen Sanktionsbestimmungen haben, da diese neuen Regelungen in dieser Form schlicht und ergreifend bisher nicht existierten und daher entsprechende Erfahrungswerte fehlen.
Welche Maßnahmen haben betroffene Unternehmen nun zu treffen?
Bei Verstößen gegen die entsprechenden EUSanktionsverordnungen, drohen empfindliche Sanktionen, die sowohl das Unternehmen, als auch die natürlichen Personen treffen könnten. So können gegen das Unternehmen selbst, auf Basis des Ordnungswidrigkeitenrechts, Geldbußen von bis zu €10m verhängt werden. Im Zusammenhang mit den involvierten natürlichen Personen, können im Falle von entsprechenden Rechtsverstößen sogar Freiheitsstrafen nicht ausgeschlossen werden.
Aus diesem Grund sollten diejenigen Unternehmen, die geschäftliche Verbindungen nach Russland unterhalten, diese genau identifizieren und im Hinblick auf das potentielle Risikopotential unter den EU-Sanktionen untersuchen. Je nach dem im Anschluss identifizierten Risikoexposure sollten dann entsprechende Anpassungen des unternehmensinternen Compliance Management Systems (CMS) vorgenommen werden, um sowohl die einzelnen Mitarbeiter als auch das gesamte Unternehmen bestmöglich zu schützen. Hierbei ist es durchaus denkbar, dass im Hinblick auf zumindest einige Geschäftsbeziehungen die Implementierung zusätzlicher Compliance Maßnahmen nicht ausreichend ist, sondern, dass diese Geschäftsbeziehungen als Ultima Ratio sogar beendet werden müssen.