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Deutschland | Publikation | April 2020
Im August letzten Jahres kündigte die Justizministerin Christine Lambrecht in einem Zeitungsinterview einen in Kürze erscheinenden Gesetzesentwurf zur Bekämpfung von Unternehmenskriminalität unter dem Namen Verbandssanktionengesetz (VerSanG-E (alt)) an. Der entsprechende Entwurf gelangte zwar in die Öffentlichkeit, wurde aber wegen fehlender Abstimmung zwischen den Ressorts und in der Koalition offiziell nicht publiziert. Auch auf Grund der aktuellen Situation um die Corona-Pandemie (COVID-19) schien die geplante Verabschiedung eines Unternehmensstrafrechts noch in dieser Legislaturperiode nun etwas in Vergessenheit zu geraten. Am 22.04.2020 veröffentlichte nun jedoch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) den Referentenentwurf zum Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft (VerSanG-E) auf seiner Internetseite.
Anders als der „geleakte“ Entwurf im vergangenen Herbst trägt der aktuelle Referentenentwurf nunmehr den Namen „Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“. Hierdurch soll zum Ausdruck kommen, dass durch das Gesetz die Integrität der großen Mehrheit der Unternehmen in Deutschland gestärkt werden soll. In diesem Sinne sind Gegenstand des Gesetzes nun auch nicht mehr „Verbandsstraftaten“ sondern „Verbandstaten“. Damit stellt das BMJV klar, dass mit dem neuen Unternehmensstrafrecht nicht die gesamte Wirtschaft per se unter Generalverdacht gestellt werden soll. Vielmehr zielt das Gesetz nur auf die Sanktionierung der wenigen „schwarzen Schafe“, die sich „Vorteile auf Kosten der rechtstreuen Unternehmen sowie deren Inhaber- und Arbeitnehmerschaft“ verschaffen und den Ruf der Wirtschaft insgesamt schädigen.
Im Vergleich zur Vorversion sieht das VerSanG-E nur wenige redaktionelle Änderungen vor. Insbesondere bleibt es bei der – im Vergleich zur aktuellen Rechtslage nach § 30 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) – signifikanten Erhöhung von Maximalgeldbußen gegen Unternehmen, die nach neuer Rechtslage bis zu 10 Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes für Verbände mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von mehr als 100 Millionen Euro betragen kann. Ferner sieht der Entwurf die Abkehr vom Opportunitätsprinzip beim Vorliegen einer Verbandstat sowie deutliche Anreize für Investitionen in Compliance-Systeme vor. Jedoch sieht das VerSanG-E nur noch zwei Sanktionsmöglichkeiten vor, nämlich die Verbandsgeldsanktion und die Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt (§ 8 VerSanG-E). Die dritte in § 14 des VerSanG-E (alt) vorgesehene Sanktion der Verbandsauflösung ist entfallen.
Die als „Nebenfolge“ einer Verbandssanktion vorgesehene öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung des Verbandes (§ 14 VerSanG-E) ist in ihrem Umfang durch den Gesetzeswortlaut und die Erwägungen eingeschränkt worden. Die Veröffentlichung der Verurteilung soll keine „Prangerwirkung“ haben oder das Genugtuungsinteresse der Geschädigten befriedigen. Sie soll nur gezielt und angemessen Informationen für die durch die Verbandstat Geschädigten zur Verfügung stellen, so dass diese ihre Ersatzansprüche geltend machen können.
Die relevantesten Änderungen wurden bei den Regelungen zu verbandsinternen Untersuchungen in § 17 VerSanG-E vorgenommen. Sah die Vorversion noch vor, dass das Gericht unter bestimmten Umständen eine Sanktionsmilderung vornehmen „kann“, so ergibt sich aus dem aktuellen Entwurf, dass das Gericht eine Verbandssanktion mildern „soll“, wenn die Voraussetzungen des § 17 Abs.1 Nr. 1 bis 5 VerSanG-E vorliegen. Im Gegensatz zum VerSanG-E(alt) ist das Gericht nunmehr in seinem Ermessen gebunden.
Falls im Laufe der Ermittlung die Strafverfolgungsbehörden an den Verband herantreten und um Kooperation bitten, soll laut den Erwägungen zu § 17 Abs. 1 Nr. 3 VerSanG-E eine Sanktionsmilderung nur dann gewährt werden, wenn der Verband sich unverzüglich, das heißt innerhalb kurzer Frist, für die Kooperation entscheidet.
Die bisherige Regelung, dass „die verbandsinterne Untersuchung in Überstimmung mit den geltenden Gesetzen durchgeführt wird (§18 Abs. 1 Nr.6 VerSanG-E(alt))“ entfällt. Sie findet sich aber in den Erwägungen wieder. Zwar wird dort ausgeführt, dass „der Staat nur gesetzestreues Verhalten mit einer Sanktionsmilderung honorieren“ kann. Letztendlich dürften die Verbände durch die Streichung aber mehr Flexibilität gewonnen haben. Ausweislich den Erwägungen sind „verbandsinterne Untersuchungen nur solche Maßnahmen, die der systematischen Aufklärung des Verdachts einer Ordnungswidrigkeit oder Straftat dienen“. Das impliziert was ohnehin Sinn macht, dass Untersuchungen nur auf der Grundlage einer vernünftigen Planung durchgeführt werden sollten, um in den Genuss der Sanktionsmilderung zu gelangen.
Neu ist die Regelung in § 17 Abs. 3 VerSanG-E. Dort wird klargestellt, dass je früher und intensiver eine Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden stattfindet, umso höher fällt die Sanktionsmilderung aus, wenngleich eine Sanktionsmilderung nach Eröffnung des Hauptsacheverfahrens ausgeschlossen ist; insofern greift dann nur noch die Auffangregelung nach § 15 Abs. 3 Nr. 7 VerSanG-E als allgemeine Strafzumessungsnorm.
Die Erwägungen machen an zwei Stellen Ausführungen zum Umfang der notwendigen Compliance bzw. der sogenannten „angemessenen Vorkehrungen“. Zum einen stellt der Entwurf gegenüber dem VerSanG-E(alt) klar, dass ein Compliance-Management System (CMS) effektiv und nicht nur effizient sein muss. Ein CMS muss also darauf ausgerichtet sein, Vorkehrungen zu kontrollieren, um beurteilen zu können, dass sie auch geeignet sind, Compliance-Vorfälle zu verhindern. Des Weiteren wird festgestellt, dass, abhängig von den Umständen, auch einige wenige Compliance-Maßnahmen ausreichen können, da „ein lückenloser Schutz gegen Straftaten nicht zu gewährleisten sein wird und Compliance-Maßnahmen insbesondere dort ihre Grenzen finden, wo der Täter aus verbandsfremder Motivation handelt und fest zur Tat entschlossen ist“. Es bedarf also keiner „XXL-Compliance“. Das CMS muss aber risikobasiert und mit Augenmaß auf das jeweilige Unternehmen zugeschnitten und effektiv sein.
Ebenso wird klargestellt, dass keine Verbandstat vorliegt, wenn sich das Handeln der Leitungsperson ausschließlich gegen den Verband richtet; das Gleiche gilt bei „Exzesstaten“ der Leitungsperson.
Laut den Erwägungen liegt eine Verbandstat aber vor, wenn die Leitungsperson es unterlässt, die gebotenen Direktions- und Weisungsrechte zu begründen, weil darin ein Organisationfehler zu sehen ist.
Als Gesetzesadressaten scheiden die Verbände aus, deren Zweck nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb (§ 1 VerSanG-E) ausgerichtet ist, insbesondere wenn sie einem gemeinnützigen Zweck dienen. Damit soll insbesondere das Ehrenamt in Vereinen geschützt werden; insofern bleibt es bei einer Ahndung nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz.
Im Gegensatz zum letzten Sommer haben sich mittlerweile das BMJV und das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) sowie die Vertreter der Regierungsparteien auf den Referentenentwurf geeinigt. Es ist daher davon auszugehen, dass nach der Anhörung der Länder und Verbände der Gesetzesentwurf noch vor der Sommerpause vom Kabinett abgesegnet und dann dem Bundestag zur Abstimmung vorgelegt wird. Der genaue Zeitplan hängt jedoch sicherlich von den aktuellen Geschehnissen um COVID-19 ab. Es darf jedoch davon ausgegangen werden, dass der Entwurf noch vor Ende der Legislaturperiode im Oktober 2021 verabschiedet wird.
Insbesondere auf Grund des deutlich höheren Sanktionsrahmens, aber auch wegen des zu erwartenden deutlichen Anstieges von behördlichen Ermittlungsverfahren gegen Unternehmen, sind diese daher gut beraten, trotz der aktuellen Corona-Pandemie den Auf- und Ausbau von effektiven Compliance-Systemen sowie die Fähigkeit zur Durchführung von internen Untersuchungen nicht aus den Augen zu verlieren, um in den Genuss der Sanktionsmilderungen zu kommen, falls es zu einem Compliance-Vorfall/Verbandstat kommt.
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