Seit dem das BAG mit seinem Beschluss vom 13.09.2022 (Az. 1 ABR 22/21) klarstellte, dass Arbeitgeber zur Erfassung der Arbeitszeit verpflichtet sind, warten Arbeitgeber auf eine gesetzliche Neuregelung zur Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung. Während der zwischenzeitlich veröffentlichte Referentenentwurf des Bundesarbeitsministeriums zahlreiche Fragen ungeklärt lässt, nehmen Betriebsräte das Heft in die Hand und zwingen Arbeitgeber zu betrieblichen Lösungen.
Arbeitgeber, die die Zeiterfassungspflicht bislang nicht umsetzen, müssen derzeit grundsätzlich noch keine negativen Konsequenzen befürchten, da die Zeiterfassungspflicht bislang weder im Arbeitsschutzgesetz noch im Arbeitszeitgesetz gesetzlich verankert wurde. Dementsprechend sehen sich Arbeitgeber bislang unmittelbar auch keinen Bußgeldern ausgesetzt, da diese durch die Aufsichtsbehörden erst nach Missachtung einer vorangehenden behördlichen Anordnung verhängt werden können. Die arbeitgeberseitige Zurückhaltung bei der Einrichtung von Arbeitszeiterfassungssystemen dürfte angesichts einer fehlenden konkreten gesetzlichen Regelung andauern.
Einbindung des Betriebsrates
Besteht allerdings ein Betriebsrat, dann können Arbeitgeber bereits vor Inkrafttreten einer gesetzlichen Regelung zum Handeln gezwungen werden. Nachdem bereits das BAG vergangenes Jahr entschied, dass der Betriebsrat zwar nicht bei dem „Ob“ der Einführung eines bestimmten Arbeitszeiterfassungssystems mitbestimmen könne, allerdings bei dem „Wie“, d.h. der Ausgestaltung des Zeiterfassungssystems, ein umfassendes Mitbestimmungsrecht habe, folgt nun auch das LAG München (22.05.2023 – 4 TaBV 24/23) der Argumentation des BAG und bestätigt ein solches Initiativrecht bezüglich der Ausgestaltung eines im Betrieb zu verwendenden Zeiterfassungssystems.
Der Beschluss aus München behandelt praxisrelevante Fragen zu den Grenzen des Initiativrechts des Betriebsrats im Hinblick auf die Ausgestaltung eines bereits im Betrieb bestehenden Zeiterfassungssystems. Nach Ansicht des LAG handelt es sich bei der Frage der Ausweitung eines bereits bestehenden Zeiterfassungssystems in einem Betrieb auf eine davon bislang nicht umfasste Arbeitnehmergruppe um das „Wie“ der Zeiterfassung – und nicht das „Ob“. Nach unserer Ansicht besteht jedoch durchaus ein Bewertungsspielraum, da die Grenze zwischen dem „Ob“ und dem „Wie“ der Arbeitszeiterfassung häufig fließend sein kann. Es bleibt daher abzuwarten, ob sich weitere Arbeitsgerichte der Argumentationslinie des LAG München anschließen werden. Relevant wird dies jedenfalls für Betriebe mit bereits etablierten Arbeitszeiterfassungssystemen, die sich nur auf bestimmte Arbeitnehmergruppen beschränken. Sie dürften nun mit Initiativen ihrer Mitarbeitervertretungen zur Erweiterung des Arbeitszeiterfassungssystems konfrontiert werden.
Referentenentwurf des BMAS
Der vom BMAS am 18.04.2023 veröffentlichte Referentenentwurf zur Regelung einer Arbeitszeiterfassungspflicht beinhaltet zwar einige klarstellende Regelungspunkte, enthält jedoch auch zahlreiche offene Fragen:
a) Vertrauensarbeitszeit
Zum einen ist fraglich, ob die bisherige Vertrauensarbeit im Lichte der BAG-Entscheidung Bestand haben wird. Bisher wurde in der Praxis darunter regelmäßig sowohl ein Verzicht auf die Arbeitszeitkontrolle als auch auf die Arbeitszeiterfassung verstanden. Nach der Regelung des § 16 Abs. 4 ArbZG-E müssen Arbeitgeber allerdings, soweit sie auf die Kontrolle der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit verzichten, durch geeignete Maßnahmen – beispielsweise durch stichprobenartige Überprüfungen der Aufzeichnungen ihrer Beschäftigten – sicherstellen, dass ihnen Verstöße gegen die Bestimmungen des ArbZG bekannt werden.
b) Persönlicher Anwendungsbereich
Der Referentenentwurf nimmt derzeit leitende Angestellte im Sinne des § 5 Abs. 3 BetrVG (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG) und Nicht-Arbeitnehmer (§ 2 Abs. 2 ArbZG) von der Arbeitszeiterfassungspflicht aus. Das BAG leitete in seiner Entscheidung vom September 2022 hingegen die Aufzeichnungspflicht aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG ab, mit der Folge, dass aufgrund des Beschäftigtenbegriffs des ArbSchG alle Arbeitnehmergruppen sowie Beamte und Richter (§ 2 Abs. 2 ArbSchG) umfasst wären. Entsprechend stellt sich die Frage, ob das BMAS die Abweichung von der Entscheidung des BAG bewusst getroffen oder schlicht nicht bedacht hatte.
c) Elektronische Zeiterfassung
Darüber hinaus sieht der Referentenentwurf lediglich eine elektronische Aufzeichnung der Arbeitszeit vor (§ 16 Abs. 2 S. 1 ArbZG-E). Hierbei bleibt unklar, ob beispielsweise auch eine Excel-Tabelle ausreicht oder nur automatisierte Zeiterfassungssysteme gestattet wären. Laut der Gesetzesbegründung des BMAS soll eine elektronische Aufzeichnung zwar die Chancen einer korrekten Aufzeichnung erhöhen. Weshalb dies mit einer nicht-elektronischen Aufzeichnung nicht möglich sein soll, bleibt allerdings offen.
d) Pausenregelung
Schließlich enthält der Referentenentwurf auch keine Regelung zur Aufzeichnungspflicht von werktäglichen Pausen. Insoweit ließe sich argumentieren, dass lediglich Beginn, Ende und Dauer der täglichen Gesamtarbeitszeit aufzuzeichnen sind. Der Wortlaut des § 16 Abs. 2 S. 1 ArbZG-E lässt sich aber auch dahingehend auslegen, dass jede Pause mit dem Beginn eines neue Abschnitts der täglichen Arbeitszeit gleichzusetzen ist. Folglich könnte dann mit jeder Pause eine Verpflichtung zur Dokumentation des Beginns, der Dauer und des Endes des geleisteten Arbeitszeitblocks verbunden sein. (Auch) hier wäre eine Klarstellung seitens des Gesetzgebers wünschenswert.
Verstärkte Meldungen durch Hinweisgeberschutz
Da Hinweisgeber dem gesetzlichen Schutz des HinSchG unterfallen, dürfte die Hemmschwelle, einen Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz oder eine etwaige Aufzeichnungspflicht an eine interne oder externe Stelle zu übermitteln, mit dem neuen Hinweisgeberschutzgesetz deutlich sinken. Wir rechnen daher in der Zukunft verstärkt mit behördlichen Untersuchungen nach dem ArbSchG oder ArbZG, die auf betriebsinterne Hinweisgeber beruhen.
Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, als einige Gewerbeaufsichtsämter in den Bundesländern bereits jetzt – meist aufgrund externer Hinweise – stichprobenartig die Einhaltung der Arbeitszeiterfassungspflicht prüfen und im Rahmen ihrer Befugnisse auch Fristen zur Umsetzung auferlegen. Wird einer solchen behördlichen Anordnung nicht Folge geleistet, droht ein Bußgeld.
Fazit
Arbeitgeber sollten trotz ungeklärter Fragen bei der Novellierung der Arbeitszeiterfassung die Rahmenbedingungen für eine Arbeitszeiterfassung in ihren Betrieben eruieren und die Entwicklungen rund um die Arbeitszeiterfassung – insbesondere den Gesetzgebungsprozess zur Novellierung des ArbZG – im Blick behalten.