Gerichtsstandsvereinbarung ausreichend für Begründung der Anwendbarkeit von EU-Recht
Ein Auslandsbezug im Sinne der EuGVVO liegt vor, wenn sich zwei in demselben EuGVVO-Mitgliedstaat wohnhafte Parteien im Rahmen einer Gerichtsstandsvereinbarung auf die internationale Zuständigkeit der Gerichte eines anderen EuGVVO-Mitgliedstaats verständigt haben.
Sachverhalt
Die beiden in der Slowakei ansässigen Parteien schlossen zwei Darlehensverträge ab. Jeder dieser beiden Verträge enthält eine inhaltsgleiche Gerichtsstandsvereinbarung, nach der bei Auftreten einer Streitigkeit, die nicht durch Verhandlungen beigelegt werden kann, „das sachlich und örtlich zuständige tschechische Gericht […] über diese Streitigkeit zu entscheiden“ hat. Die Klägerin verlangt von der Beklagten aus abgetretenem Recht die Rückzahlung der Darlehen und erhob bei dem Obersten Gerichtshof der Tschechischen Republik Klage auf Zahlung der geschuldeten Beträge und auf Bestimmung des tschechischen Gerichts, das für die Entscheidung in der Sache gemäß § 11 Abs. 3 der Zivilprozessordnung auf der Grundlage der in den beiden Darlehensverträgen enthaltenen Gerichtsstandsvereinbarung örtlich zuständig ist. Die Klägerin trägt vor, dass es sich um eine gültige Gerichtsstandsvereinbarung handele, die den Anforderungen des Art. 25 Abs. 1 EuGVVO genüge, und dass es keine weitere – besondere oder ausschließliche – Zuständigkeit eines Gerichts nach dieser Verordnung gebe. Mit ihrer Vorlagefrage fragt das Gericht, ob die Verordnung auf den Sachverhalt anwendbar ist, wenn sich der hierfür erforderliche Auslandsbezug lediglich aus der von den Parteien abgeschlossenen Gerichtsstandsvereinbarung ergibt, die sich auf die Gerichte eines anderen Mitgliedstaats als desjenigen bezieht, in dem die Vertragsparteien ansässig sind. Alternativ könnte der Sachverhalt als innerstaatlicher Sachverhalt eingestuft werden, da der bloße Wille der Parteien nicht ausreiche, um ihrem Vertragsverhältnis internationalen Charakter zu verleihen.
Entscheidung
Der EuGH hat den für die Anwendung der EuGVVO erforderlichen Auslandsbezug bejaht. Das Gericht entschied, dass Art. 25 Abs. 1 EuGVVO eine Gerichtsstandsvereinbarung schon dann erfasst, wenn die in demselben Mitgliedstaat ansässigen Parteien eines Vertrags die Zuständigkeit der Gerichte eines anderen Mitgliedstaats für Rechtsstreitigkeiten aus diesem Vertrag vereinbaren. Zu der Frage, ob sich die klagende Zessionarin überhaupt auf eine von ihr nicht ausgehandelte Gerichtsstandvereinbarung berufen konnte, äußerte sich der EuGH nicht.
(EuGH, 08.02.2024 – C-566/22)
Tipp für die Praxis
- Die Entscheidung gilt auch für Sachverhalte, in denen sich zwei Vertragsparteien mit gewöhnlichem Aufenthalt in einem Drittstaat im Rahmen einer Gerichtsstandsvereinbarung formwirksam auf die Zuständigkeit der Gerichte eines EuGVVO-Mitgliedstaats geeinigt haben. Dies gilt, weil Art. 25 EuGVVO unabhängig vom Wohnsitz der Parteien zur Anwendung kommt und der Auslandsbezug auch darin bestehen kann, dass die Parteien in einem Drittstaat ansässig sind (EuGH, 08.09.2022 – C-399/21).
- Sofern es sich bei dem Drittstaat um einen HGÜ-Vertragsstaat handelt, ist das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen im Rahmen seines Anwendungsbereichs allerdings vorrangig anwendbar.
Keine Gutachtenverwertung bei abgelehntem Sachverständigen
Das Gutachten eines abgelehnten Sachverständigen darf grundsätzlich nicht verwertet werden. Ausnahmen sind nur in engen Grenzen möglich. Hat beispielsweise eine Partei den Ablehnungsgrund provoziert, nachdem ein Gutachten des Sachverständigen vorgelegen hat, muss dies nicht zwingend zur Unverwertbarkeit führen.
Sachverhalt
Die Klägerin nimmt die Beklagte nach ärztlicher Behandlung auf Schadensersatz in Anspruch. Ein hinzugezogener Sachverständiger hat im Verhandlungstermin vor dem LG sein schriftliches Gutachten mündlich erläutert. Die Klägerin lehnte den Sachverständigen noch im Verhandlungstermin als befangen ab und begründete dies anschließend in einem Schriftsatz. Hierauf nahm der Sachverständige schriftlich Stellung. Daraufhin hat die Klägerin ihr Befangenheitsgesuch mit einem neuen Schriftsatz auch darauf gestützt, dass der Sachverständige mit seiner Stellungnahme in unangemessener Weise Kritik am Befangenheitsantrag der Klägerin sowie an deren Prozessbevollmächtigten und dessen Verhalten in der mündlichen Verhandlung geübt habe.
Das LG hat den Befangenheitsantrag zurückgewiesen, das OLG (4. Zivilsenat) hingegen für begründet erklärt. Dabei hat es ausgeführt, dass dahinstehen könne, ob die ursprünglich geltend gemachten Gründe rechtzeitig vorgebracht worden seien, da es jedenfalls zu diesem Zeitpunkt an einem Befangenheitsgrund gemangelt habe. Jedoch habe der Sachverständige mit seiner Stellungnahme die Grenzen der gebotenen Neutralität und Sachlichkeit überschritten, indem er das Prozessverhalten und die Persönlichkeitsstruktur des Klägervertreters analysiert und negativ bewertet habe. Das Sachverständigengutachten wurde vom LG verwertet und die Klage abgewiesen. Die gegen die Verwertung des Gutachtens gerichtete Berufung wurde vom OLG (5. Zivilsenat) abgewiesen mit der Begründung, das LG sei nicht verpflichtet gewesen, ein neues Gutachten eines anderen Sachverständigen einzuholen, weil es zum Zeitpunkt des Befangenheitsgesuchs an einem Befangenheitsgrund gemangelt habe. Denn Sachverständiger und Prozessbevollmächtigter der Klägerin seien vor der Erstellung des Gutachtens nicht aufeinandergetroffen, so dass kein Anlass zu der Besorgnis bestehe, dass die Unvoreingenommenheit des Sachverständigen schon bei der Erstellung des Gutachtens beeinträchtigt gewesen sei. Darüber hinaus sei das Ablehnungsgesuch der Klägerin gegen den Sachverständigen rechtsmissbräuchlich, weil sie damit verfahrensfremde Zwecke verfolge. Ablehnungsanträge, welche ausschließlich zur Prozessverschleppung oder zur Verfolgung anderer verfahrensfremder Zwecke gestellt würden, seien aufgrund fehlenden Rechtsschutzinteresses unzulässig. Im vorliegenden Fall sei die Verfolgung verfahrensfremder Zwecke aus dem Prozessverlauf ersichtlich. Mit der vom BGH nach Nichtzulassungsbeschwerde zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Berufungsanträge weiter.
Entscheidung
Die Revision war erfolgreich. Nach Ansicht des BGH rügt die Revision zu Recht, dass das Berufungsgericht keine Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen angeordnet und seine Entscheidung auf die Ausführungen des abgelehnten Sachverständigen gestützt habe. Zwar könne gemäß § 412 Abs. 2 ZPO das Gericht die Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen anordnen, wenn ein Sachverständiger nach Erstattung des Gutachtens mit Erfolg abgelehnt sei. Allerdings dürfe in diesem Fall ungeachtet des Wortlauts („kann“) das Gutachten des abgelehnten Sachverständigen grundsätzlich nicht mehr verwertet werden. Ausnahmen von dieser Regel seien hier nicht ersichtlich.
Nach der Rechtsprechung des BGH käme eine solche Ausnahme dann in Betracht, wenn die ablehnende Partei den Ablehnungsgrund in rechtsmissbräuchlicher Weise provoziert. Die Annahme des Berufungsgerichts (5. Zivilsenat), das Ablehnungsgesuch der Klägerin sei als rechtsmissbräuchliche Prozesstaktik zur Umgehung einer unerwünschten Beweisaufnahme unzulässig, widerspreche der Bindungswirkung der im Ablehnungsverfahren vom OLG (4. Zivilsenat) getroffenen Entscheidung und dürfe daher nicht beurteilt werden (§§ 512, 406 Abs. 5 ZPO). Zudem stehe es mit Blick auf den Verfahrensablauf einer Partei frei, vom Ablehnungsrecht (§ 406 Abs. 1 Satz 1 ZPO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO) in den durch § 406 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 ZPO bestimmten zeitlichen Grenzen Gebrauch zu machen.
Zum anderen dürfe kein Anlass zu der Besorgnis bestehen, dass die Unvoreingenommenheit des Sachverständigen schon bei Erstellung seiner bisherigen Gutachten beeinträchtigt gewesen ist. Hier habe das Berufungsgericht dies rechtsfehlerhaft verneint. Denn aus dem Umstand, dass eine (mögliche) Beeinträchtigung der Unvoreingenommenheit sich nicht schon früher offenbart hat, folge nicht, dass eine solche auch nicht vorgelegen hat. Allerdings könne mangels entsprechender Feststellungen des Berufungsgerichts dieser Ausnahmetatbestand nicht bestätigt werden. Insofern müsse offen bleiben, ob die Verwertung des Gutachtens in Betracht kommt.
(BGH, 05.12.2023 – VI ZR 34/22)
Abtretung von Freistellungsansprüchen gegen D&O-Versicherer
Die Beweislastumkehr aus § 93 Abs. 2 S. 2 AktG gilt auch im Direktprozess der Gesellschaft gegen die Versicherung, wenn der in Anspruch genommene Geschäftsleiter seine Ansprüche gegen den D&O-Versicherer an die Gesellschaft abtritt.
Sachverhalt
Dem ehemaligen Geschäftsführer der Klägerin, einer GmbH, wurde vorgeworfen, seine Pflichten als Geschäftsleiter verletzt und einen Schaden verursacht zu haben. Er habe die Erhöhung der Versicherungssumme der bestehenden Feuerversicherung abgelehnt mit der Folge, dass Schäden durch einen nachfolgenden Brand nicht vollständig von der bestehenden Versicherungssumme abgedeckt gewesen seien. . Der Geschäftsführer trat daraufhin seinen Freistellungsanspruch gegen die zu seinen Gunsten abgeschlossene D&O-Versicherung an die Klägerin ab. Mit ihrer Klage verlangt die GmbH von der D&O-Versicherung die Zahlung aus dem abgetretenen Freistellungsanspruch. Das LG hat die Klage abgewiesen mit der Begründung, dass mit der Abtretung des Freistellungsanspruchs keine ernsthafte Inanspruchnahme des Geschäftsführers mehr vorliege, womit es an einem bedingungsgemäßen Versicherungsfall fehle. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung zum OLG.
Entscheidung
Die Berufung hatte keinen Erfolg. Das OLG verneinte eine Eintrittspflicht der beklagten D&O-Versicherung mangels Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen den Geschäftsführer. Eine Haftung des Geschäftsführers nach § 43 Abs. 2 GmbHG bestehe nicht, weil der Verzicht auf eine ausreichende Feuerversicherung von der in § 93 Abs. 1 S. 2 AktG verankerten und bei der GmbH analog geltenden Business Judgement Rule (BJR) gedeckt sei. Das Einsparen von Versicherungsprämien könne danach eine vertretbare Option sein, wenn, wie vorliegend vorgetragen, das Unternehmen einen Großbrand auch mit Versicherungsschutz ökonomisch nicht überstehen würde. Zudem habe er auf Weisung des Alleingesellschafters gehandelt und sei für Versicherungsfragen nicht zuständig gewesen. Damit bestehe auch kein Freistellungsanspruch gegen die D&O-Versicherung.
Obwohl die Frage im hiesigen Rechtsstreit nicht entscheidungserheblich war, hat sich das OLG in einem obiter dictum dafür ausgesprochen, dass in den Fällen einer Abtretung des Deckungsanspruchs des versicherten Geschäftsleiters gegen den D&O-Versicherer an die vermeintlich geschädigte Gesellschaft die in § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG enthaltene Beweislastumkehr zugunsten der Gesellschaft auch im Direktprozess gegen den D&O Versicherer gelte. Demnach obliege es im Direktprozess dem Versicherer, darzulegen und zu beweisen, dass das dem Geschäftsleiter vorgeworfene Verhalten nicht pflichtwidrig war oder dass es am Verschulden fehlte. Die Abtretung des Freistellungsanspruchs führe nur zu einer Auswechslung des Gläubigers, ändere aber die Voraussetzungen der inzident zu prüfenden Anspruchsgrundlage (§ 43 Abs. 2 GmbHG bzw. § 93 Abs. 2 AktG) nicht. Es bleibe daher bei der sich für die AG aus dem Gesetz ergebenden und für die GmbH ebenfalls anwendbaren günstigen Darlegungs- und Beweislast. Der Versicherer, so das Gericht, sei im Direktprozess nicht schlechter gestellt als bei getrennter Führung von Haftungs- und Deckungsprozess, weil er hier schon auf die Haftungsfrage Einfluss nehmen könne, da das Organ ihm vertraglich Auskunft und Mitwirkung schulde. Der D&O-Versicherer sei hierdurch ausreichend geschützt.
(OLG Köln, 21.11.2023 – 9 U 206/22)
Tipp für die Praxis
- Die vom OLG lediglich in einem obiter dictum angesprochene Rechtsfrage ist seit Langem umstritten und höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärt. Soweit ersichtlich, handelt es sich hierbei um die erste obergerichtliche Entscheidung zu dieser Thematik, die, obwohl sie nicht bindend ist, sicherlich eine gewisse Signalwirkung erzeugen wird. Gegen die Ansicht des OLG Köln wurde in der Literatur unter anderem vorgebracht, dass eine Übertragung der Beweislastregelungen auf den Fall des Direktprozesses die Gefahr eines kollusiven Zusammenwirkens der Gesellschaft und ihres Geschäftsleiters bei der Geltendmachung des Deckungsanspruchs im Direktprozess begründe. Es bleibt abzuwarten, wie sich andere Gerichte zu dieser Rechtsfrage positionieren werden und ob sich der Bundesgerichtshof ihrer Klärung alsbald annehmen wird.