Die geplante Reform des deutschen Schiedsverfahrensrechts befindet sich auf der Zielgeraden: Im Juni diesen Jahres beschloss die Bundesregierung einen Gesetzentwurf, der das noch aus den 1990er-Jahren stammende deutsche Schiedsverfahrensrecht mit digitalisierungsfreundlichen Vorschriften in das 21. Jahrhundert bringt und Deutschland, u.a. durch Zulassung englischsprachiger Verfahrensdokumente und Verhandlungen vor den Commercial Courts, auf der internationalen Bühne als Schiedsstandort attraktiver machen soll. Gerade was die Nutzung der englischen Sprache vor Gericht angeht, bleibt der Entwurf aber auf halber Strecke stehen und hinter den Möglichkeiten zurück. Kritisch zu sehen ist auch die geplante Abschaffung des Schriftformerfordernisses für Schiedsvereinbarungen. Von rein mündlichen Schiedsvereinbarungen bleibt auch nach der Reform abzuraten.
Ausgangslage
Nachdem das UNCITRAL-Modellgesetz, nach dessen Vorbild das in den §§ 1025 bis 1066 der Zivilprozessordnung (ZPO) geregelte deutsche Schiedsverfahrensrecht zum großen Teil gestaltet wurde, bereits im Jahr 2006 eine Überarbeitung erfuhr, ist es nun endlich so weit: Das Bundeskabinett beschloss am 26.06.2024 den Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schiedsverfahrensrechts (BR-Drs. 386/24). Ziel des Gesetzesvorhabens ist die Anpassung des deutschen Schiedsverfahrensrechts an die heutigen Bedürfnisse und die Stärkung der Attraktivität Deutschlands als Schiedsstandort. Zu diesem Zweck sieht der Gesetzentwurf punktuelle Änderungen des Schiedsverfahrensrechts vor, die eine Reihe von Entwicklungen im Bereich der Schiedsgerichtsbarkeit auf europäischer Ebene sowie Überarbeitungen der Schiedsordnungen der wichtigsten Schiedsinstitutionen berücksichtigen.
Anwendungsbereich
Das Schiedsverfahrensrecht im 10. Buch der ZPO gibt den gesetzlichen Rahmen vor, in dem in Deutschland durchgeführte Schiedsverfahren ablaufen. Es lässt den Parteien großen Freiraum, das schiedsrichterliche Verfahren individuell oder mittels Bezugnahme auf die Verfahrensregeln einer Schiedsinstitution zu regeln (§ 1042 Abs. 3 ZPO). Für den Fall, dass die Parteien diesbezüglich keine Vereinbarungen treffen, stellt das Schiedsverfahrensrecht ein gesetzliches Auffang-Regelungssystem zur Verfügung. Auch dieses gibt nur einen Rahmen vor; über detaillierte Verfahrensregeln bestimmt, vorbehaltlich einer Parteivereinbarung, das Schiedsgericht nach freiem Ermessen (§ 1042 Abs. 4 Satz 1 ZPO).
Darüber hinaus enthalten die Vorschriften der ZPO Regelungen über die Unterstützungs- und Überprüfungstätigkeiten der staatlichen Gerichte. So können etwa die deutschen staatlichen Gerichte auf Antrag das Schiedsgericht bei der Beweisaufnahme unterstützen (§ 1050 ZPO). Dies gilt sogar, wenn der Schiedsort im Ausland liegt (§ 1025 Abs. 2 ZPO).
Hinsichtlich der Vollstreckung vom Schiedsgericht erlassener einstweiliger Maßnahmen wird die Unterstützungskompetenz der deutschen Gerichte nun auch auf ausländische Schiedsgerichte ausgeweitet: Die deutschen staatlichen Gerichte sollen zukünftig auch von ausländischen Schiedsgerichten erlassene einstweilige Maßnahmen in Deutschland vollziehen können (§§ 1025 Abs. 2, 1041 Abs. 2 ZPO-E).
Formfreiheit für Schiedsvereinbarungen
Eine wesentliche Neuerung ist der Wegfall des Schriftformerfordernisses für Schiedsvereinbarungen. Während nach der bisherigen Regelung die Schiedsvereinbarung entweder in einem von den Parteien unterzeichneten Dokument oder in zwischen ihnen gewechselten Schreiben, Fernkopien, Telegrammen oder anderen Formen der Nachrichtenübermittlung, die einen Nachweis der Vereinbarung sicherstellen, enthalten sein musste (§ 1031 Abs. 1 ZPO), fällt dieses Erfordernis nun weg. Lediglich für Schiedsvereinbarungen mit Verbrauchern bleibt es bei dem strengen Formerfordernis (eigenhändig unterzeichnete Urkunde, die nur die Schiedsvereinbarung und keine anderen Regelungen enthält, § 1031 Abs. 5 ZPO, künftig dort Abs. 1 ZPO-E). Ansonsten sollen nach der neuen Rechtslage auch formlose, insbesondere also mündliche Schiedsvereinbarungen zulässig sein.
Damit schließt sich Deutschland im internationalen Vergleich einer von Frankreich angeführten Minderheit von Staaten an, die auf ein Formerfordernis für Schiedsvereinbarungen verzichten. Die Mehrzahl der Staaten, insbesondere die mit großen Schiedszentren (England, Singapur, Hongkong, Schweiz) halten am Schrift- bzw. zumindest Textformerfordernis fest. Und dies aus gutem Grund: Denn mündliche Schiedsvereinbarungen erhöhen die Rechtsunsicherheit, wenn unter Zuhilfenahme anderer Beweismittel darüber gestritten werden muss, ob überhaupt eine Schiedsvereinbarung vorliegt und welchen Inhalt diese hat.
Doch nicht nur das: Auch das New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (UNÜ) enthält in seinem Artikel II Abs. 2 ein Schriftformerfordernis. Die aus dem New Yorker Übereinkommen erwachsende Verpflichtung für die staatlichen Gerichte der Unterzeichnerstaaten, Schiedsvereinbarungen anzuerkennen und die Parteien auf das schiedsrichterliche Verfahren zu verweisen (Art. II Abs. 1 und 3 UNÜ), gilt nur für „schriftliche Vereinbarungen“ (wobei nicht unbedingt eine Unterschrift unter einem Vertragsdokument erforderlich ist, sondern auch ein Briefwechsel, der eine Schiedsabrede enthält, ausreicht). Mündliche Schiedsabreden müssen die Vertragsstaaten des UNÜ nicht anerkennen. Allerdings sieht das in Art. VII Abs. 1 UNÜ geregelte Meistbegünstigungsprinzip vor, dass sich eine Partei auch nach Maßgabe des nationalen Rechts (mit geringeren Formerfordernissen) auf einen Schiedsspruch bzw. eine Schiedsvereinbarung berufen kann. Allerdings hilft auch dies nur bedingt weiter, wenn der andere Vertragsstaat seinerseits an dem Schriftformerfordernis festhält.
Die Anerkennung mündlicher Schiedsvereinbarungen durch Gerichte anderer Staaten ist daher nicht unbeschränkt gesichert. Vor diesem Hintergrund erscheint die vollständige Abschaffung jegliche Formerfordernisses etwas übereifrig. Besser wäre wohl ein Textformerfordernis nach Schweizer Vorbild gewesen (vgl. Art. 178 Abs. 1 Schweizer IPRG: „Die Schiedsvereinbarung hat schriftlich oder in einer anderen Form zu erfolgen, die den Nachweis durch Text ermöglicht.“), welches mit den Anforderungen des UNÜ im Einklang steht.
Um Rechtsunsicherheiten zu vermeiden, ist Parteien davon abzuraten, rein mündliche Schiedsvereinbarungen zu schließen.
Vorlage englischsprachiger Dokumente in deutschsprachigen staatlichen Verfahren
Obwohl die meisten Schiedsverfahren in englischer Sprache geführt werden, mussten die Parteien ein sich anschließendes Aufhebungs- oder Vollstreckbarerklärungsverfahren vor staatlichen Gerichten bislang auf Deutsch führen. Mit der Reform des Schiedsverfahrensrechts sollen die Parteien nun die Möglichkeit haben, in den Aufhebungs- und Vollstreckbarerklärungsverfahren englischsprachige Schriftstücke vorzulegen (§ 1063b ZPO-E). Auf diese Weise sollen staatliche Verfahren effizienter geführt werden können und den Parteien die Kosten für umfangreiche Übersetzungen erspart werden.
Vor dem BGH und den Amtsgerichten (die zuständig bleiben für gerichtliche Unterstützung bei der Beweisaufnahme und sonstige richterliche Handlungen, zu denen das Schiedsgericht nicht befugt ist, §§ 1062 Abs. 4, 1050 ZPO), gilt das allerdings nicht. Hier wäre eine alle Gerichte umfassende Vorlagemöglichkeit englischsprachiger Dokumente zu begrüßen gewesen.
Commercial courts
In die Modernisierung des Schiedsverfahrensrechts eingebunden werden auch gleich die sogenannten Commercial Courts, deren Einrichtung der Bundestag erst kürzlich beschlossen hat. Die Zuständigkeit für gerichtliche Unterstützung- und Überprüfungstätigkeiten (z.B. Schiedsrichterbestellung oder -ablehnung, Feststellung der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit des Schiedsverfahrens, Vollziehung einstweiliger Maßnahmen des Schiedsgerichts, Aufhebung oder Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs), welche bisher bei den Oberlandesgerichten liegt, kann nun von den Landesregierungen auch einem Commercial Court übertragen werden (§ 1062 Abs. 5 Satz 2 ZPO-E).
Verfahren vor den Commercial Courts können auf Wunsch der Parteien auf Englisch geführt werden (§ 1063a ZPO-E). Das ist gut gewollt und im Hinblick auf eine Stärkung des deutschen Justizstandorts und Förderung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit sicher ein Schritt in die richtige Richtung. Inwieweit diese Regelungen letztlich greifen, wird davon abhängen, in welchem Maße die Länder davon Gebrauch machen. Wo keine Commercial Courts eingerichtet sind oder wo die Landesregierungen diesen nicht die entsprechenden Kompetenzen übertragen haben, bleibt es bei der Zuständigkeit der Oberlandesgerichte. Und vor diesen bleibt es auch bei § 184 Satz 1 GVG: „Die Gerichtssprache ist deutsch.“ Aber selbst wenn Verfahren vor den Commercial Courts auf Englisch geführt werden, ist dies nicht für alle Instanzen sichergestellt. In den Rechtsbeschwerdeverfahren beim Bundesgerichtshof (BGH) wird das Verfahren nämlich nur dann auf Englisch weitergeführt, wenn der dortige Zivilsenat einem entsprechenden Antrag stattgibt (§ 1065 Abs. 3 ZPO-E). Die Praxis wird also zeigen, wie weltoffen und modern der BGH in dieser Hinsicht wirklich ist.
Digitalisierung: Durchführung von Videoverhandlungen und Erlass von Entscheidungen in elektronischer Form
Auch die Digitalisierung hat Einzug in das deutsche Schiedsverfahrensrecht gehalten. Angesichts der zahlreichen positiven Erfahrungen der schiedsrechtlichen Praxis mit mündlichen Verhandlungen per Videoverhandlung sieht der Regierungsentwurf eine dispositive gesetzliche Regelung für die entsprechende Durchführung von Videoverhandlungen vor (Art. 1047 Abs. 2 ZPO-E). Damit soll nicht nur ausdrücklich die Statthaftigkeit dieser bereits gängigen Verfahrensweise klargestellt und die Verfahrenseffizienz gefördert, sondern auch die Attraktivität des Schiedsorts Deutschland für internationale Verfahren erhöht werden, bei denen die Beteiligten oftmals über mehrere Kontinente verteilt sind.
Einen weiteren Beitrag zur Digitalisierung sieht der Entwurf dergestalt vor, dass Schiedsgerichte ihre Schiedssprüche künftig auch elektronisch erlassen können, sofern keine Partei widerspricht. Damit sind Schiedssprüche künftig nicht mehr notwendigerweise handschriftlich zu unterschreiben. Als Alternative wird der elektronische Schiedsspruch mittels eines elektronischen Dokuments und qualifizierter elektronischer Signatur zugelassen (§ 1054 Abs. 1 Satz 2 und 3 ZPO-E).
Rechtskräftige Entscheidung über Schiedsvereinbarung im Rahmen des Antrags auf Feststellung der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit eines schiedsrichterlichen Verfahrens
Eine weitere Neuerung ist, dass im Rahmen eines vor Bildung des Schiedsgerichts gestellten Antrags auf Feststellung der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit eines Schiedsverfahrens das staatliche Gericht künftig auch über das Bestehen oder die Gültigkeit einer Schiedsvereinbarung entscheiden kann (§ 1032 Abs. 2 Satz 2 ZPO-E). Diese Entscheidung ist der Rechtskraft fähig und entfaltet daher für etwaige nachfolgende Aufhebungs- und Vollstreckbarerklärungsverfahren Bindungswirkung.
Schiedsrichterbestellung in Mehrparteienverfahren
Können sich Streitgenossen einem Mehrparteienverfahren nicht auf einen gemeinschaftlich zu bestellenden Schiedsrichter einigen, sieht der Gesetzentwurf nun in § 1035 Abs. 4 ZPO-E vor, dass die Bestellung – vorbehaltlich einer abweichenden Parteivereinbarung – auf Antrag einer der Parteien durch ein staatliches Gericht erfolgt.
Aufhebung falsch-negativer Zuständigkeitsentscheidungen
Erklärt sich ein Schiedsgericht nach einer Zuständigkeitsrüge selbst fälschlicherweise für unzuständig, so kann diese Entscheidung künftig auf Antrag einer Partei von einem staatlichen Gericht aufgehoben werden (§ 1040 Abs. 4 ZPO-E). Dieses kann die Sache auf Antrag einer Partei dann an das Schiedsgericht zurückverweisen (§ 1059 Abs. 4 ZPO).
Damit führt die ZPO einen zusätzlichen Aufhebungsgrund ein, der nicht im UNCITRAL-Modellgesetz enthalten ist. Man mag dies für überflüssig halten, da anders als im Falle einer falsch-positiven Zuständigkeitsentscheidung (das Schiedsgericht hält sich fälschlicherweise für zuständig) der Justizgewährungsanspruch der Parteien, also der Zugang zu den staatlichen Gerichten, nicht beeinträchtigt wird. Andererseits wird hiermit die Durchführung von Schiedsverfahren und somit die Durchsetzung des Parteiwillens gefördert, was grundsätzlich zu begrüßen ist.
Sondervoten
Mit der ausdrücklichen Zulassung von Sondervoten (dissenting und concurring opinions) durch den neuen § 1054a ZPO-E soll dem internationalen Aufruhr entgegengewirkt werden, für die ein Beschluss des OLG Frankfurt am Main vom 16.01. 2020 (Az. 26 Sch 14/18) gesorgt hatte. Dem Beschluss zufolge verletze eine dissenting opinion in einem inländischen Schiedsspruch das Beratungsgeheimnis und damit den deutschen ordre public, was die Aufhebung des Schiedsspruchs zur Folge haben kann.
Schiedssprüche, denen sich ein Sondervotum anschließt, sollten sich deshalb künftig keinen Bedenken mehr im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit dem verfahrensrechtlichen ordre public (§ 1059 Absatz 2 Nummer 2 Buchstabe b ZPO) ausgesetzt sehen.
Erleichterte Veröffentlichung von Schiedssprüchen
Mit dem neuen § 1054b ZPO-E können Schiedsgerichte künftig ihre Schiedssprüche ganz oder in Teilen in anonymisierter oder pseudonymisierter Form veröffentlichen. Auf diese Weise soll die Rechtsfortbildung gefördert und Entscheidungen in der Handelsschiedsgerichtsbarkeit transparenter gemacht werden. Zwar bedarf eine Veröffentlichung der Zustimmung der Parteien, diese gilt jedoch als erteilt, wenn eine Partei nicht binnen drei Monaten ab entsprechender Aufforderung des Schiedsgerichts widerspricht. Es handelt sich hier also um eine opt out-Lösung. Wer keine Veröffentlichung wünscht, muss aktiv widersprechen. Im Ergebnis wird sich praktisch wohl wenig ändern, da zu erwarten ist, dass anwaltliche vertretene Parteien in Regel einer Veröffentlichung widersprechen werden.
Restitutionsantrag gegen Schiedssprüche
Neu ist zudem die Einführung eines Restitutionsantrags nach dem Vorbild der Restitutionsklage im staatlichen Gerichtsverfahren (§ 580 ZPO) gegen Schiedssprüche, bei denen ein gewöhnlicher Aufhebungsantrag (wegen Fristablaufs) nicht mehr möglich ist (§ 1059a ZPO-E). Ein erfolgreicher Restitutionsantrag, etwa im Falle von Urkundenfälschungen, strafbaren Falschaussagen von Zeugen, oder auch des Auffindens neuer Beweismittel, führt zur Aufhebung des Schiedsspruchs und auf Antrag einer Partei und im Ermessen des Gerichts gegebenenfalls zur Zurückverweisung der Sache an das Schiedsgericht (§§ 1059a Abs. 6, 1059 Abs. 4 ZPO-E).
Fazit
Der Gesetzentwurf leistet einen sinnvollen Beitrag zur Modernisierung und Anpassung des deutschen Schiedsverfahrensrechts an internationale Standards und damit zur Stärkung des Schiedsstandorts Deutschland. Teilweise bleibt aber Potential auf der Strecke liegen, etwa wenn beim BGH kein englischsprachiges Verfahren garantiert ist, selbst wenn das Commercial Court-Verfahren komplett auf Englisch durchgeführt wurde. Die neue Formfreiheit von Schiedsvereinbarungen erhöht die Rechtsunsicherheit und könnte die Anerkennung von Schiedsvereinbarungen sowie die Vollstreckbarkeit deutscher Schiedssprüche im Ausland erschweren. Im nächsten Schritt wird sich der Bundestag mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung befassen. Es bleibt daher abzuwarten, was aus dem Entwurf im parlamentarischen Verfahren wird.