Nationaler Rechtsschutz bei Schiedsverfahren zu Energie-Investitionen
Internationale Investitionsschutzverfahren nach dem Energiecharta-Vertrag zwischen Investoren und EU-Staaten sind aus Sicht des deutschen Zivilprozessrechts unzulässig. Die beteiligten Schiedsparteien können deutsche Gerichte anrufen, um die Unzulässigkeit des Schiedsverfahrens gerichtlich feststellen zu lassen.
Hintergrund
Dem BGH lagen drei gleich gelagerte Fälle vor. Allen drei Sachverhalten lagen Streitigkeiten zwischen großen Energieunternehmen mit EU-Mitgliedstaaten (Deutschland und die Niederlande) zu Grunde. Beide Staaten hatten ihre Gesetzgebung in der Energiepolitik geändert. Die Niederlande hatten beschlossen, bis zum Jahr 2030 aus der Kohleverstromung auszusteigen. Deutschland hatte seine Gesetzgebung zur Windenergie speziell für Offshore-Anlagen geändert. Die beteiligten Unternehmen (mit Sitz in Irland bzw. Deutschland) sahen dadurch ihre Investitionen gefährdet und leiteten Schiedsverfahren nach dem Energiecharta-Vertrag vor dem International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID) ein. Die beteiligten Staaten (Deutschland und die Niederlande) wandten sich daraufhin an deutsche staatliche Gerichte, um die Unzulässigkeit der Schiedsverfahren nach § 1032 Abs. 2 ZPO feststellen zu lassen.
Entscheidung
Nach § 1032 Abs. 2 ZPO kann bis zur Bildung des Schiedsgerichts Antrag auf Feststellung der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit eines schiedsrichterlichen Verfahrens gestellt werden. Die Norm ist nach § 1025 Abs. 2 ZPO auch dann anzuwenden, wenn der Ort des schiedsrichterlichen Verfahrens im Ausland liegt oder noch nicht bestimmt ist.
Fraglich war zunächst, ob die Zuständigkeit deutscher Gerichte für Anträge nach § 1032 Abs. 2 ZPO auch ICSID-Schiedsverfahren erfasst, welche – das ist die Besonderheit von ICSID-Schiedsverfahren – keinen Schiedsort in einem bestimmten Staat haben, sondern delokalisiert stattfinden. Der BGH bejahte das mit einer analogen Anwendung von § 1025 Abs. ZPO. Ferner entschied der BGH, dass auch § 41 Abs. 1 des ICSID-Übereinkommens, wonach das Schiedsgericht selbst über seine eigene Zuständigkeit entscheidet (sog. Kompetenz-Kompetenz), zwar grundsätzlich eine Sperrwirkung gegenüber § 1032 Abs. 2 ZPO entfalte, diese Sperrwirkung aber bei Intra-EU-Investor-Staat-Schiedsverfahren ausnahmsweise nicht greife. Dies beruhe auf dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts vor dem Völkerrecht. Nach der EuGH-Rechtsprechung (C-284/16 – Achmea; C-741/19 – Komstroy) verstoßen Intra-EU-Investor-Staat-Schiedsverfahren gegen Unionsrecht. Die in Art. 26 des Energiecharta-Vertrags enthaltene Schiedsklausel sei daher im Falle eines Intra-EU-Investor-Staat-Schiedsverfahrens unwirksam.
Der BGH stellte daher die Unzulässigkeit der Schiedsverfahren nach § 1032 Abs. 2 ZPO fest. Ein etwaiger dennoch ergangener, also mit dem Unionsrecht unvereinbarer Schiedsspruch könne keine Wirkung entfalten und in einem EU-Mitgliedstaat nicht vollstreckt werden.
(BGH, 27.07.2023 – I ZB 43/22; I ZB 74/22; I ZB 75/22)
Tipp für die Praxis
Deutschland hat im vergangenen Jahr seinen Austritt aus dem Energiecharta-Vertrag beschlossen. Allerdings beträgt die Ausstiegsfrist 20 Jahre. Solange der Energiecharta-Vertrag daher noch anwendbar ist, können auf diesen gestützte Intra-EU-Investor-Staat-Schiedsverfahren von deutschen staatlichen Gerichten für unzulässig erklärt bzw. die Vollstreckung entsprechender Schiedssprüche verhindert werden. Auch wenn die Schiedsgerichte selbst sowie auch Vollstreckungsgerichte außerhalb der EU sich davon teilweise unbeeindruckt zeigen dürften, ist dies doch für eine etwaige Vollstreckung von Schiedssprüchen innerhalb der EU von enormer Bedeutung und sollte daher bereits bei der Entscheidung über die Einleitung eines entsprechenden Schiedsverfahrens bedacht werden.
Englische Limited mit deutschem Verwaltungssitz nach Brexit keine Kapitalgesellschaft mehr – persönliche Haftung der Gesellschafter
Eine nach englischem Recht gegründete Limited mit Verwaltungssitz in Deutschland ist nach dem Brexit nicht mehr als Kapitalgesellschaft anzuerkennen und als rechtsfähige Personengesellschaft oder, im Falle eines Alleingesellschafters, als einzelkaufmännisches Unternehmen zu behandeln. Der Alleingesellschafter haftet persönlich auch für Altverbindlichkeiten der Limited.
Sachverhalt
Eine englische Limited mit Verwaltungssitz in Deutschland war 2018 von einem deutschen Gericht rechtskräftig zur Zahlung von EUR 1.973,90 verurteilt worden. Nach dem Brexit beantragte der Urteilsgläubiger für die Zwecke der Zwangsvollstreckung eine Rechtsnachfolgeklausel, wonach der Alleingesellschafter Rechtsnachfolger der Limited sei. Die Klausel wurde erteilt, wogegen sich der Alleingesellschafter mit einer Vollstreckungsabwehrklage (§ 768 i. V. m. § 767 ZPO) zur Wehr setzte.
Entscheidung
Das Landgericht Berlin wies die Vollstreckungsabwehrklage ab. Die englische, aus nur einem Gesellschafter bestehende Limited sei mit Ablauf des Austrittsabkommens zum 31.12.2020 in Deutschland nicht mehr existent. Die Gründungstheorie, nach welcher eine Gesellschaft dem Recht ihres Gründungsstaats unterliegt, und welche wegen der europarechtlich garantierten Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) auf Gesellschaften aus EU-Mitgliedstaaten anzuwenden ist, sei auf Gesellschaften aus dem Vereinigten Königreich nicht mehr anzuwenden. Das Vereinigte Königsreich sei nunmehr Drittstaat. Damit sei die modifizierte Sitztheorie anzuwenden, nach welcher sich die Auslandsgesellschaft ex lege umwandele bzw. -qualifiziere, und zwar im Falle einer Einpersonengesellschaft in den Unternehmensinhaber (Alleingesellschafter). Dieser hafte demzufolge persönlich für Altverbindlichkeiten der Limited. Ein Vertrauens- oder Bestandsschutz sei nicht anzuerkennen, da aufgrund der Übergangsfrist bis 31.12.2020 Gelegenheit bestand, die Limited in eine nach deutschem Sachrecht anerkannte Rechtsform umzuwandeln. Limiteds, die ihre Gesellschaftsform in Deutschland nicht geändert haben, führen nunmehr ein Doppelleben: Sie sind aus englischer Sicht weiterhin eine Limited, aus deutscher Sicht – bei einer Einmanngesellschaft – ein einzelkaufmännisches Unternehmen.
(LG Berlin, 28.11.2022 – 101 O 57/22)
Tipp für die Praxis
Gläubiger englischer Limiteds mit Verwaltungssitz in Deutschland, welche bereits einen deutschen Titel gegen die Limited erwirkt haben, können über die Rechtsnachfolge unmittelbar gegen den oder die Gesellschafter vollstrecken. Gläubiger ohne Titel können unmittelbar den oder die Gesellschafter verklagen. Die Gesellschafter einer solchen Limited können sich nicht mehr hinter dem „veil of incorporation“ verstecken.
Erfolgshonorare bei Inkassodienstleister zulässig
Legal-Tech-Geschäftsmodelle auf Grundlage einer Inkassoerlaubnis nach dem RDG sowie die Vereinbarung eines prozentualen Erfolgshonorars an Schmerzensgeldansprüchen und die Vereinbarung (abzutretender) Rechtsverfolgungskosten in analoger Anwendung des RVG sind zulässig.
Hintergrund
Die Klägerin, ein nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz registriertes Inkassodienstleistungsunternehmen, verlangt nach der Regulierung eines Unfallschadensereignisses aus abgetretenem Recht die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten. Sie betreibt eine Verbraucherplattform, auf der Geschädigten die außergerichtliche Geltendmachung und Durchsetzung von Ansprüchen auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens angeboten wird. Insbesondere findet sich dort ein «Schmerzensgeldrechner» zur Abgabe einer voraussichtlichen und unverbindlichen Ersteinschätzung des zu erwartenden Schmerzensgeldes. In den allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin ist unter anderem eine Erfolgsbeteiligung von 15 % vorgesehen, die sich auf Schmerzensgeldansprüche im Rahmen der außergerichtlichen Anspruchsdurchsetzung beschränkt. Für den Fall des Misserfolgs sehen die AGB eine Kostenfreihaltung vor. Gegen die erfolgreiche Klage legte die Beklagte Revision vor dem BGH ein.
Entscheidung
Die Revision zum Bundesgerichtshof hatte keinen Erfolg. Nach Ansicht des Gerichts sei das Geschäftsmodell der Klägerin hinsichtlich der Leistungsbefugnisse von Inkassodienstleistern nicht zugleich auf die Abwehr von Gegenansprüchen ausgerichtet. Zudem liege kein Verstoß gegen § 4 RDG vor, da die im Falle erfolgloser Bemühungen der Klägerin vorzunehmende Kostenfreihaltung des Unfallgeschädigten - unter Bezugnahme auf die BGH-Entscheidungen LexFox und AirDeal - nicht als andere Leistung im Sinne der Norm einzustufen sei. Eine Interessenkollision ergebe sich auch nicht aus der Erfolgsbeteiligung der Klägerin in Höhe von 15 Prozent am außergerichtlich durchgesetzten Schmerzensgeld. Es bestehe angesichts der Ausgestaltung der abgeschlossenen Vergütungsvereinbarung nicht die konkrete Gefahr, dass die Klägerin zur Realisierung des Erfolgshonorars Abstriche bei der Durchsetzung der Schmerzensgeldansprüche mache. Insbesondere bemesse sich neben dem Erfolgshonorar auch der an Erfüllungs statt abgetretene allgemeine Kostenerstattungsanspruch des Geschädigten nach dem Wert der erstrittenen Ersatzleistungen. Dem Unfallgeschädigten sei im Übrigen unbenommen, angesichts der ausschließlichen Abtretung der Kostenerstattungsansprüche gemäß § 13e RDG, weiteren Schadensersatz zu verlangen. Eine analoge Anwendung des § 4 RDG scheide ebenfalls aus.
(BGH, 07.03.2023 – VI ZR 180/22)
Tipp für die Praxis
Der BGH stellt mit dieser Entscheidung klar, dass die parallele Vereinbarung von Erfolgshonorar und Rechtsverfolgungskosten gemäß § 13e RDG zulässig ist. Die Entscheidung dürfte für Legal-Tech-Geschäftsmodelle in solchen Fällen interessant sein, in denen Rechtsverfolgungskosten verzugsunabhängig als Schaden gem. § 249 BGB erstattungsfähig sind, wie beispielsweise immaterielle Schadensersatzansprüche bei Datenschutzverletzungen, jedenfalls wenn die Anspruchsdurchsetzung nicht im Wege der Inkassozession, sondern auf Grundlage einer Inkassovollmacht erfolgt.