Seitdem die Europäische Union der sog. „EU-Blocking-Verordnung“ (Verordnung (EG) 2271/96) im Jahr 2018 durch die Aufnahme der wieder in Kraft getretenen US- Sanktionen gegen den Iran neues Leben eingehaucht hat, ergeben sich hieraus eine Vielzahl rechtlicher Probleme für europäische Wirtschaftsteilnehmer, die direkt oder auch nur mittelbar Geschäftsbeziehungen mit durch die USA sanktionierten Personen unterhalten. Insbesondere dem in Artikel 6 der EU-Blocking-Verordnung verorteten Schadensersatzanspruch mit seinen bisher noch ungeklärten Implikationen sollten EUWirtschaftsteilnehmer besondere Aufmerksamkeit schenken.
Einleitung
Ursprung und Inhalt
Die EU-Blocking-Verordnung trat im Jahr 1996 in Reaktion auf die Sanktionen der USA gegen Kuba in Form des sog. Helms-Burton-Act in Kraft. Dieser ermöglichte es Betroffenen von Enteignungen während der kubanischen Revolution zivilrechtlich gegen Personen vorzugehen, die enteignetes Eigentum nutzten bzw. davon profitierten. Ziel der EU-Blocking-Verordnung war es von Beginn an, EU Wirtschaftsteilnehmer vor den Auswirkungen solcher extraterritorial wirkenden Sanktionen zu schützen. Um dies zu erreichen, sollte den europäischen Wirtschaftsteilnehmern zum einen untersagt werden, bestimmten im Anhang der EU-Blocking-Verordnung genannten US-Sanktionsgesetzen Folge zu leisten. Zum anderen sollte es ermöglicht werden, Gelder bei Personen abzuschöpfen, die diese aufgrund der US-Sanktionsgesetze zugesprochen bekommen hatten. Da außenpolitischer Druck der internationalen Gemeinschaft schnell zu einer faktischen Nicht-Anwendung des Helms-Burton-Act führte, blieb auch die EU-Blocking Verordnung jahrelang quasi ohne Anwendungsbereich.
Reform
Dies änderte sich im Jahr 2018 schlagartig, als die USA unter Präsident Trump aus dem Iran-Atomabkommen ausstiegen und ankündigten, wieder Sanktionen gegen den Iran zu verhängen. Im Zuge dessen sah die EU in der EU-Blocking-Verordnung wieder einen Weg, um diesen neuen, ebenfalls extraterritorial wirkenden Sanktionen entgegenzutreten. Daher wurde der Anhang der EU-Blocking-Verordnung um bestimmte USSanktionen gegen den Iran erweitert. Die Delegierte Durchführungsverordnung (EU) 2018/1101 ermöglicht es EU-Unternehmen eine Genehmigung zu ersuchen, um den US-Forderungen bzw. Verboten ganz oder teilweise nachzukommen, sofern die Nichteinhaltung ihre Interessen oder die Interessen der Union schwer schädigen würden. Zusätzlich wurde der Iran mit dem Delegierten Beschluss (EU) 2018/1102 in die Liste der förderfähigen Länder aufgenommen, die für Finanzierungen der Europäischen Investitionsbank infrage kommen, die durch eine EUGarantie dann gedeckt sind.
Inhalt der EU-Blocking-Verordnung
Der grundsätzliche Inhalt der EU-Blocking-Verordnung blieb durch die Erweiterung jedoch unverändert. Im Wesentlichen versucht die EU mit der EU-Blocking- Verordnung die in ihren Augen völkerrechtswidrigen USSanktionen weiterhin mit zwei Mitteln zu bekämpfen:
- Artikel 5 der Verordnung enthält ein explizites Befolgungsverbot der im Anhang genannten extraterritorial wirkenden Sanktionsnormen. Verstöße sind durch die Mitgliedsstaaten gemäß Artikel 9 zu sanktionieren. Es besteht jedoch die Möglichkeit einer Ausnahmegenehmigung der Europäischen Kommission.
- Art. 6 der Verordnung verleiht EU-Bürgern und Unternehmen einen Anspruch auf Ersatz von Schäden, die ihnen aufgrund der Anwendung der Sanktionsnormen entstanden sind.
Hieraus ergeben sich für EU-Wirtschaftsteilnehmer eine Vielzahl drängender Fragen in Bezug auf ihre Unternehmungen mit Iran-Bezug. Einen ersten Beitrag zur Klärung leistete das im Dezember 2021 ergangene Urteil des EuGH, das jedoch nur Fragen zu Artikel 5 zum Gegenstand hatte (Bank Melli Iran v. Telekom Deutschland GmbH, Az. C-124/20). Ungeklärt bleiben jedoch – wie auch in der bisherigen nationalen Rechtsprechung – weitgehend Fragen der Haftung aus Artikel 6 der EU-Blocking- Verordnung.
Schadensersatz gemäß Art. 6 Blocking-VO
EU-Unternehmen als Anspruchsgegner
Laut Artikel 6 der EU-Blocking-Verordnung haben EUWirtschaftsteilnehmer Anspruch auf Ersatz der Schäden, die ihnen aufgrund der Anwendung der im Anhang aufgeführten Sanktionsnormen oder darauf beruhender bzw. sich daraus ergebender Maßnahmen, entstanden sind. Auffällig dabei ist, dass Historie und Erwägungsgründe der EU-Blocking-Verordnung EU-Wirtschaftsteilnehmer als Schutzobjekte und Anspruchsinhaber und nicht als Anspruchsgegner sehen. Artikel 6 dürfte aber so auszulegen sein, dass private Akteure, die aufgrund der im Anhang aufgeführten Sanktionen Leistungen nicht erbringen, Vertragsbeziehungen beenden oder in sonstiger Weise entsprechende Sanktionsnormen einhalten, von anderen privaten Akteuren auf Schadensersatz verklagt werden können. Bereits hier zeigt sich einer der zentralen Fallstricke der EU-Blocking-Verordnung: Die USA als „wahrer“ Verursacher eventueller Schäden werden sich aufgrund der Staatenimmunität nicht haftungsrechtlich verantworten müssen. Stattdessen sind in der Folge die EU Wirtschaftsteilnehmer selbst nicht nur Nutznießer des Kampfs der EU gegen extraterritorial wirkende Sanktionen, sondern zu einem beträchtlichen Teil auch dessen Opfer.
Rechtsnatur des Artikel 6 der EU-Blocking- Verordnung
Zwar ist umstritten, ob Artikel 6 der EU-Blocking- Verordnung die weitreichenden Folgen in Gestalt eines echten Schadensersatzanspruchs überhaupt zukommen sollen bzw. dies bei der Schaffung durch die EU beabsichtigt war, oder ob er nicht vielmehr ausdrücklich nur die Abschöpfung von durch den Helms-Burton-Act erzielten Gewinnen ermöglichen sollte. Im letzteren Fall bliebe Art. 6 bei den im Jahr 2018 aufgenommenen Iran- Sanktionen ohne Bedeutung. EU-Wirtschaftsteilnehmer, die US-Sanktionen befolgen, sollten sich aufgrund fehlender höchstrichterlicher Klärung jedoch durchaus auf Schadensersatzforderungen privater Akteure einstellen. Der durch die EU Kommission zur Auslegung der EUBlocking- Verordnung herausgegebene Leitfaden (2018/C 277 I/03) deutet jedenfalls in diese Richtung.
Spezifika europäischer Ansprüche
Aufgrund der europäischen Natur des Anspruchs aus Artikel 6 der EU-Blocking Verordnung können daneben die Haftungsvoraussetzungen des nationalen Rechts nicht holzschnittartig auf den Anspruch übertragen werden. Maßgeblich ist vielmehr ein europäisches, autonomes Verständnis des Anspruchs.
Problemfelder
Hierbei ergeben sich insbesondere die folgenden Problemfelder:
Kausalität
Artikel 6 der EU-Blocking-Verordnung enthält die Voraussetzung, dass der Schaden aufgrund der Anwendung der Sanktionsnormen oder der sich daraus ergebenen oder darauf beruhenden Maßnahmen entstanden sein muss. Bei diesem Wortlaut bleibt unklar, welche Handlungen konkret ausreichend sein sollen, um eine Haftung auszulösen. Zum einen fragt sich, ob Anwenden ein gezieltes Befolgen der Sanktionsnormen erfordert, oder bereits jedes faktische Berücksichtigen der US Sanktionen und ihrer wirtschaftlichen Folgen ausreicht. Zum anderen ist die Reichweite der Haftung dahingehend ungeklärt, wie die in Artikel 6 Absatz 2 der EU Blocking- Verordnung enthaltene Möglichkeit zu verstehen ist, Schadensersatz auch von Personen zu verlangen, die lediglich im Auftrag eines Verursachers handeln oder als Vermittler auftreten. Dafür, dass für eine Haftung von Vermittlern o.ä. ein eigener Verursachungsbeitrag erforderlich ist, spricht die Formulierung, dass der Schaden von der Person zu ersetzen sei, die den Schaden „verursacht“ hat. Bei einer Person, die lediglich in einer Kette aus Vertragsbeziehungen steht, in der es irgendwo zu etwaigen Sanktionsverstößen kam, dürfte hiervon schwerlich die Rede sein. Zudem dürften auch die europäischen Grundfreiheiten wie die unternehmerische Freiheit der betroffenen EU-Wirtschaftsteilnehmer bei beiden Fragestellungen für eine enge Interpretation der Verordnung sprechen. Andernfalls würde der Handlungsspielraum von EU-Wirtschaftsteilnehmern massiv eingeschränkt, wovor die EU-Blocking Verordnung ja gerade schützen soll.
Verschulden
Unklar ist zudem, ob der Anspruch verschuldensabhängig ist, also Vorsatz oder zumindest Fahrlässigkeit des Schädigers voraussetzt. Dafür spricht, dass in der großen Mehrheit der nationalen europäischen Rechtsordnungen Verschulden Grundvoraussetzung für die meisten deliktischen Schadensersatzansprüche ist. Bei originär europäischen Ansprüchen lässt sich dies hingegen nicht eindeutig feststellen. Auch der EuGH hat sich diesbezüglich in der Vergangenheit ambivalent geäußert. Der Leitfaden der EU-Kommission stellt bei der Frage, von wem Schadensersatz zu verlangen ist, jedoch nicht nur auf die Frage des Verursachens, sondern explizit auch auf die Verantwortlichkeit ab, was dem Verschulden nach deutschem Verständnis entsprechen sollte. Der Anspruch dürfte somit verschuldensabhängig sein.
Schaden
Ebenfalls ungeklärt ist, was und in welchem Umfang eine Vermögenseinbuße als Schaden im Sinne des Art. 6 zu qualifizieren ist. Im Leitfaden der EU-Kommission heißt es lediglich, dass „der Umfang der Schäden, bei denen [der] Anspruch besteht, […] gemäß dem Schutzzweck der Blocking-Verordnung sehr weit gefasst [ist]“. Demnach wären wohl wirtschaftliche Einbußen jeglicher Art grundsätzlich im Rahmen von Artikel 6 der EU-Blocking- Verordnung ersatzfähig.
Verhältnismäßigkeitsprüfung
Schließlich stellt sich die Frage, ob sich ein in Anspruch Genommener auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und ganz allgemein die Unzumutbarkeit der Befolgung der EUBlocking- Verordnung berufen kann. Im oben genannten Fall Bank Melli Iran vs. Deutsche Telekom Deutschland GmbH hatte der EuGH den Weg für eine solche Abwägung grundsätzlich eröffnet und entschieden, dass eine Abwägung zwischen den Schäden durch das Befolgen der Sanktionen für die Ziele der EU-Blocking-Verordnung einerseits, mit der Wahrscheinlichkeit und dem Ausmaß des Erleidens wirtschaftlicher Verluste im Falle des Nicht-Befolgens der US-Sanktionen andererseits vorzunehmen sei.
Ausblick
Der Überblick zeigt, dass die EU-Blocking-Verordnung EU-Wirtschaftsteilnehmer vor eine Vielzahl von ungeklärter Fragen stellt. Die Vorschrift scheint insoweit misslungen, als ihr ausdrückliches Ziel, der Schutz der EU-Wirtschaftsteilnehmer vor extraterritorial wirkenden Sanktion, durch ihre Regelungen nicht erreicht, sondern insbesondere durch mögliche Schadensersatzansprüche gegen den EU Wirtschaftsteilnehmer in sein Gegenteil verkehrt wird. Die schier unvorhersehbare Reichweite des Artikel 6 vertieft das ohnehin schon bestehende Dilemma für Unternehmen, dass die Einhaltung von US-Sanktionen gleichzeitig eine Sanktionierung nach der EU-Blocking-Verordnung nach sich zieht. Finanzielle Risiken bei der unternehmerischen Entscheidung, sich im Zweifel an US-Sanktionen zu halten, werden dadurch kaum kalkulierbar. Es bleibt zu hoffen, dass in den nächsten Jahren die (europäische) Rechtsprechung und der im Jahr 2021 durch die Europäische Kommission angestoßene Reformprozess zur Klärung der offenen Fragen beitragen werden. Unabhängig davon gilt es für potenziell betroffene Unternehmen, sorgsames Monitoring zu betreiben, inwieweit sie von der EU Blocking-Verordnung betroffen sein könnten, um so etwaigen Ansprüchen vorzubeugen bzw. sich effektiv gegen sie verteidigen zu können.